von betroffener 7. November 2016 01:15
Hallo
mein letzter Beitrag in diesem Forum ist jetzt zwar 10 Jahre her und möglicherweise sind die, die mir damals geantwortet haben gar nicht mehr in diesem Forum unterwegs, aber dennoch möchte mich für die Antworten von damals bedanken. Damals hat es mir sehr geholfen, einfach einmal über meine Situation zu schreiben. Ich möchte nun den alten Beitrag vervollständigen und darüber hinaus aufzeigen, auf welche Weise dies mein weiteres Leben beeinflusst hat. Ich tue dies, weil ich mir erhoffe, dadurch irgendwann mit den Dämonen aus meiner Vergangenheit abschließen zu können, die mich in den letzten Tagen wieder eingeholt haben.
Dass sich meine Eltern getrennt haben, als ich noch relativ jung gewesen bin, habe ich bereits vor 10 Jahren geschrieben. Dies wäre nicht so schlimm gewesen, wenn die Trennung damit abgeschlossen gewesen wäre. Ich weiß noch ganz genau, dass immer dann, wenn meine Mutter kam, um mich fürs Wochenende abzuholen, ein klein-geistiger Streit zwischen meinen Eltern entstanden ist, den ich dann mit eigenen Augen und Ohren miterleben musste. Des Weiteren haben haben sowohl mein Vater als auch meine Mutter mir immer wieder schlechte Dinge über den jeweils anderen erzählt und mir teilweise auch Dinge erzählt, von denen ich wünschte, ich hätte sie niemals erfahren. Dies habe ich bereits im ersten Beitrag beleuchtet und deswegen gehe ich nicht nochmal darauf ein. Es gibt aber noch einige Dinge, über die ich damals nichts geschrieben habe, was ich nun nachholen möchte.
Als ich ungefähr 6 oder 7 Jahre alt gewesen bin, hat mein Vater noch einmal eine Frau geheiratet, mit der ich mich überhaupt gar nicht zurecht gekommen bin. Ich weiß noch ganz genau wie sehr ich diese Frau - die ich manchmal in Gedanken Hausdrache genannt habe - damals gehasst habe, denn ich erinnere mich allzu gut an den unfreundlichen Tonfall, mit dem sie stets zu mir geredet hat, an die ständigen Herabwürdigungen und ihre gehässigen Kommentare, die ich damals einfach nur als gemein empfand. Zum Beispiel als mir ihr Essen nicht schmeckte, hat sie zu mir die Frage "Welchen Scheiß isst du denn bei deiner Mutter?" direkt ins Gesicht geschmettert - als Reaktion darauf hatte ich mich dann für eine Weile in meinem Zimmer eingeschlossen. Als mein Vater wegen einem Herzinfarkt (den er zum Glück überlebt hat) ins Krankenhaus musste, war das erste, was sie zu mir gesagt hat: "Du rufst jetzt sofort deine Mutter an, damit die dich abholt." Für sie war natürlich klar, dass ihr Sohn, den sie mit meinem Vater bekommen hat, ja viel wichtiger ist als dieser fremde Junge dort, so dass sie selbstverständlich immer ihren Sohn bevorzugt hat. Auf diese und ähnliche Weise, hat sie mir immer wieder und wieder aufs Neue ihre Ablehnung mir gegenüber deutlich gemacht.
Nun will ich nicht ausschließen, dass ich möglicherweise auch gemein zu ihr gewesen bin, denn schließlich habe ich sie ja wirklich gehasst, aber ich kann mir unmöglich vorstellen, dass ein Kind völlig grundlos einen derartig bodenlosen Hass empfinden kann. Damals konnte ich mich nicht intellektuell gegen diese Frau wehren, zumal es dann immer auch von meinem Vater hieß, ich würde seine aktuelle Liebe zerstören, wenn ich wagen sollte, sie zu kritisieren. Das Resultat war, dass ich mich quasi in mich selbst zurückgezogen habe, was meine Persönlichkeit bis heute nachhaltig beeinflusst hat.
Ich will dazu noch anmerken, dass ich mit dem Mann meiner Mutter völlig gut zurecht gekommen, obwohl mir mein Vater immer wieder gesagt hat, dass er der Mann ist, mit dem meiner Mutter damals fremd gegangen ist. Es ist also irgendwie paradox, dass ich diesen Mann gut leiden konnte, obwohl ich wusste, dass zu einem großen Teil mitschuldig an meiner unglücklichen Kindheit sein muss. Ich denke diese Tatsache verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass Menschen, die in eine Patchwork-Familie herein heiraten, sich der besonderen Beziehung zu den Kindern bewusst sein müssen und sich entsprechend verhalten sollten. Ich glaube sofort, dass dieser Hausdrache mit der Situation überfordert gewesen ist, was aber keine Entschuldigung für ihr schäbiges Verhalten mir gegenüber sein kann.
Irgendwann - ich glaube, ich war ungefähr 8 bis 10 Jahre alt gewesen - gab es zwischen meinen Eltern eine juristische Auseinandersetzung um die Frage, ob ich (und mein Bruder?) fortan hauptsächlich beim Vater und der Mutter wohnen sollen. Ich weiß noch ganz genau, dass mich mein Vater damals in den Wochen davor massiv psychisch bearbeitet hatte, damit ich auch ja das "Richtige" aussage. Ich weiß zwar noch, dass ich zwar dann getrennt von meinen Eltern befragt worden bin, aber natürlich habe ich so geantwortet, wie ich aufgrund der Beeinflussung meines Vater antworten musste. Ich glaube übrigens nicht, dass damals jemanden aufgefallen ist, dass ich vom Vater derartig bearbeitet worden bin.
Der durch die Trennung meiner Eltern nicht abgeschlossene andauernde Streit, in den ich mit hinein gezogen worden bin und der teilweise vor meinen Augen und Ohren ausgetragen worden ist, und der Dauerkonflikt mit der neuen Frau meines Vater haben bei mir bewirkt, dass ich bis zu meinem 12. bis 15. Lebenjahr eigentlich überhaupt kein richtiges Selbstbewusstsein sowie kein gesundes Selbstwertgefühl ausbilden konnte, vermutlich auch unter Minderwertigkeitskomplexen gelitten habe und auf jede kleinste Kritik viel zu sensibel reagiert habe. Außerdem habe ich mich sehr zurückgezogen und einen introvertierten Charakter ausgebildet. Auf mein mangelndes Selbstwertgefühl habe ich reagiert, in dem ich perfektionistische Charakterzüge entwickelt habe, die ich bei meinen Hobbys und in der Schule sowie später im Studium ausleben konnte. So konnte ich mir zeigen, dass ich Dinge kann, die sonst kaum jemand kann, und konnte ganz langsam Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten entwickeln. Ansonsten habe ich mich von anderen Menschen so weit es geht zurückgezogen und mir quasi einen emotionalen Schutzpanzer gebaut habe, in den ich mich zurückziehen kann. Ich bin mir sicher, dass ich dies machen musste, weil dies meine einzige Möglichkeit gewesen ist, mich selbst am Leben zu erhalten.
In den letzten 10 Jahren habe ich ein sehr gutes Abitur gemacht, bin ich später in eine andere Stadt gezogen und habe dort sehr erfolgreich studiert. Trotz der räumlichen Distanz zu meinen Eltern, gibt es aber leider immer noch Dinge, die ich nicht ganz überwunden habe. Zum Beispiel habe ich stets eine gewisse Distanz zu anderen Menschen bewahrt und habe niemanden zu nah an mich heran gelassen. Bislang war noch nicht in der Lage gewesen, zu anderen Menschen eine emotionale Bindung aufzubauen. In den letzten Jahren habe ich insgesamt nur ganz selten andere Menschen in meine Wohnung hereingelassen, habe immer noch Schwierigkeiten auf andere Menschen zuzugehen, und mich dadurch - abgesehen von einigen Bekanntschaften - sozial größtenteils isoliert. Ich denke, dass es nun an der Zeit für mich ist, ein wenig mehr aus mir herauszukommen, und zu lernen, andere Menschen in meiner Nähe zuzulassen - wenn mir dies nicht gelingt, dann werde ich eines Tages völlig vereinsamt sein, was zur Zeit meine größte Sorge ist.