Wiedersehen

Allgemeines Scheidungskinder Forum - Dies ist eine virtuelle Selbsthilfegruppe für Kinder und Eltern in allen Fragen rund um Trennung und deren Folgen.
Tamara22
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Tamara22 »

Ich trau mich einfach, nur kurz, irgendwie störend mittenrein, aber ich mag eben hier sein, ein bischen Erinnerungen aufschnappen, teilhaben...es gibt euch (ich hoffe auf Nighti) noch, hier, das ist wie heimkommen ein bischen, wie eine Tasse, die schon auf Kaffee wartet, meine, wenn ich bei einer guten Freundin in der Tür stehe...das ist wie das Lieblingsbuch, das hinten im Schrank gewartet hat und es riecht so gut und ja, eben ein bischen vertrauensschenkendesmiteinemlächelnumdieeckebiegtmichinnerlichfreuundjubelundleisehoffeundwartedasshierwiederLebenauftauchtundihrdaseidimmernochimmerwiederimmereinmal...

leiseverkrümel
Tami
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Nightingale
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

Meine Liebe,

ich merke, kaum dass ich Deinen Link geöffnet habe – den, den Du mir mitten in meinen Deadlinestress und in Diskussionen darüber geschickt hast, ob der Name des ersten Haustieres für einen Fragebogen von Belang ist - dass es mich niederdrückt. Das alles hier: Das Forum, unser altes Wir, mein Leben 2010 und diese Lieder, das kann ich kaum ertragen. Ich will Dir nur zu gerne helfen, gerade als ehemaliges Forumsass -pff! -, und ich komme bestimmt darauf zurück, vielleicht sogar gleich noch kurz privat, aber was ich eigentlich sagen möchte, ist: Verzeih, liebste Feather, aber es fällt mir gerade so schwer.

Ich habe heute Nacht von Selbstmord geträumt. Es war nicht mein eigener, obwohl ich gestern noch weinend auf dem Teppich vom Ende von Gefühlen sprach und im Stillen heimlich kurz dachte, das klingt jetzt wirklich ein bisschen albern suizidmäßig. Emo hätten wir früher dazu gesagt. Sei nicht so ein Emo. Im Traum ging eine alte Freundin meines Bruders auf die Straße, sie sah mich an dabei und lächelte über meine Überraschung, über mein Nichtfassenkönnen als das Auto kam und sie begrub. Sie lag am Boden und war fort.

Neben den ganzen Existenzängsten – wir sind so ober ende pleite, wie nur was. Ich habe noch immer keinen Bachelor und das Praktikum, das ich zur Beendigung des Bachelors drei Monate bei einer Zeitung gemacht habe, wird mir nun nicht anerkannt – geht es hier zu Ende. Ich habe mich verliebt, Feather und habe nach vier Monaten Verdrängung und Unehrlichkeit und Angst, die Konsequenzen gezogen. Wir wohnen noch zusammen und können nur schwer von einander loslassen. Wahrscheinlich müssen wir das aber, wenn es irgendwann wieder gut werden soll. Ich kann nicht fassen, dass ich den gleichen Fehler wie mein Vater begehe, genau so unstet, genau so emotionshungrig war wie er. Und es noch immer bin. Und jetzt die einzige stabile Familie verliere, die ich je hatte.

Und irgendwie auch, dass ich vielleicht irgendwann der Grund bin, dass sich die Kleine einen Platz wie diesen hier suchen muss.

„Du bist wie 15. Genauso lebensunfähig“, hat er zu mir gesagt, als ich ihm von meinen Gefühlen für einen Anderen erzählte. Was er meint, sind meine Ängste, meine Verdrängungstaktik, Dinge einfach unerledigt zu lassen, mein Hunger nach einer Liebe, die wahrscheinlich bei genauerer Betrachtung heiße Luft wäre. Weißt Du, ich wollte mich immer ändern. Ich wollte heil werden und selbstständig. Aber während Du Schritte vorwärts zum Erwachsenwerden machst, stehe ich still. Ich dachte immer, ich mache das ganz gut, Mutter sein, Verantwortung übernehmen, Stabilität geben. Jetzt überlege ich zum ersten Mal, was ich mit dieser Selbstüberschätzung uns als Familie eigentlich angetan habe.

Was ich Dir aber eigentlich sagen will, Feather: Ich freue mich so, dass Du diesen Schritt getan hast. Ich denke oft an Dich und an das, was wir für einander waren. Und natürlich immer noch irgendwie sind. Wenn Du so wie gestern irgendwas in die Öffentlichkeit schreibst, muss ich fast augenblicklich an diesen Ort denken und mir fällt irgendein Satz von damals ein, irgendeiner Deiner Wortschätze, den ich mit mir rumtrug, wie einen kleinen Verständnisschlüssel für die Widrigkeiten des Lebens. Auch wenn Du’s wahrscheinlich heftig abstreiten wirst, ich wäre jemand Anderes heute ohne Dich. Stell Dir vor, das hier alles gäbe es nicht? Fünf Jahre Selbstreflektion, Heilschreiben, Austausch wären nie passiert? Was für eine Jugendliche wäre ich gewesen, damals in den Fängen der Pubertät? Und was für eine Erwachsene heute? Denn ganz egal, ob lebensunfähig oder nicht, die Sensibilität, das Feingefühl, nicht zuletzt im Umgang mit Worten, die wurde hier in mir herangezogen. Ich glaube, dieses Forum und Du, ihr habt den Unterschied gemacht.

Viele liebe Grüße an Dich, mein Featherlein.
Nighti.

P.S: Und Tamara: Wie schön alte Gesichter wie Dich zu lesen! Ich habe mich hier nie fremd gefühlt - in den ganzen zehn Jahren (!) nicht. Und der Grund seid ihr, weil ihr‘s hier so warm und herzlich haltet. Danke dafür! Ganz liebe Grüße!
MarliJo

Re: Wiedersehen

Beitrag von MarliJo »

Liebe Nigthingale und Feather,

nein, weder euch kenne ich noch eure Geschichte und auch euren langen Thread voller Empathie kenne ich nur von kurzen Momenten des vorbeihuschens - es ist EUER Thread, für euch.
Und doch möchte ich mich in diesem Moment hier kurz zu Wort melden, weil ich etwas entdeckt habe, was mich erinnert hat an eine reale Begegnung vor Jahren.
In dieser Begegnung hatte ich mir ein Herz gefasst, meinen Mut zusammen genommen und bin aus einem sehr vagen, unsicheren Gefühl heraus zu einem Menschen gegangen, von dem ich glaubte, ich "muß" dort jetzt hingehen, weil dieser Mensch jetzt gerade voller Lebenszweifel steckt. Gegengen bin ich mit dem Gefühl, das es diesen Menschen bewahrt hat, sich Schaden zuzufügen, obwohl ich nicht mehr als bei ihm war...Da war.
So kam mir eure heutigen Begegnung auch vor. Feather hat geschrieben aus einem Gefühl heraus, es mag Sehnsucht sein, aber ganz gewiss Nähe. Ja und irgendwie passte dieser Moment, hat sich überschnitten mit deinem Nähegefühl von dir, Nightingale - eines, was dir vielleicht gerade sehr gut tut, weil da so viele quälende Zweifel sind ? Es ist nur so eine Wahrnehmung.
Ich wünsche euch Da Sein...es lohnt sich eigentlich immer !

MarliJo

PS. Ich glaube, Zweifel sind der beste Weg, um emotionale "Fehler" zu korriegieren.
Tamara22
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Tamara22 »

Hey ihr Beiden,
kleines *wink* an MarliJo, ich mag mich ihm gern anschliessen...
Ihr beide seid hier, jetzt, in diesem Moment und ich bin fest davon überzeugt es gibt keine Zufälle.
Von aussen betrachtet finde ich das so berührend, dass ihr euch findet, dann wenn es grade fast nicht mehr geht.
Und trotzdem oder grade deswegen.
Ich habe selbst erlebt, wie das ist, wieder da sein von Menschen, aufgefangen werden, hier, bei mi, im Leben.
Das wünsch ich euch, dass ihr euch dieser Besonderheit eurer Verbindung wieder einmal bewußt werdet und da sein könnt.
Naja und uns gibts auch noch.
Von Herzen
Tami
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feather
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Re: Wiedersehen

Beitrag von feather »

Liebe Nighti,

es nimmt mich mit, von Dir zu lesen.
Nicht nur, aber auch, was Du schreibst, sondern wie Du schreibst, oder noch besser, dass Du schreibst, Du bist plötzlich wieder da, wie früher, als wäre nichts gewesen, nimmst mich gefangen. Lässt mich Dich erkennen, darin ein Stück auch mich selbst, lässt mich in Dein Gefühl reinkriechen. Ich kann es mir so gut vorstellen. Ganz ehrlich Nightingale, wie alt bist Du jetzt - es ist peinlich, dass ich das so adhoc nicht weiß, dafür weiß ich, dass Dein Geburtstag am 3. März ist, ohne es nachzugucken - 24, ich glaube eher 25? Und so benimmst Du Dich auch, nicht wie eine 15-Jährige, lass Dir das nicht einreden, Du benimmst Dich wie eine 25-Jährige, die eine tolle Mutter ist, die aber innen nicht leer ist. Sondern fühlt. Ganz ehrlich, ich weiß, dass ich mit meinen Gedanken hierzu vorsichtig sein muss, immerhin ist dieses Forum der beste Beweis dafür, dass Trennungen und emotionale Selbstverwirklichung Leid über andere - die Kinder - bringen können, aber ich habe mich schon immer gefragt, was das für Mutter und Vater, die auch Menschen sind, bedeutet. Dass sie sich alles verbeißen müssen? Dass sie die Suche nach Liebe und Zärtlichkeit aufzugeben haben? Dass sie keine ungebändigten Gefühle, keine ungebändigte Sehnsucht mehr erleben dürfen? Das hält mich bislang - unter anderem - davon ab, ein Kind zu bekommen. Dass ich nicht weiß, was ich in Zukunft fühlen werde, dass ich mir manchmal selbst nicht trauen kann. Dabei bin ich noch mit ihm zusammen und liebe ihn noch. Noch?

Wobei ich dann auch wieder denke, dass es das nicht sein kann. Wir können doch bestimmt besser scheitern als die Eltern, bei denen wir das beobachten mussten. Du bei Deinen, die auseinander gingen, ich bei meinen, die beieinander blieben. Denn auch wenn dort die Schale noch ganz ist, eine wahre Liebe, so wie ich mir das für mich vorstelle, ist das nicht. Zusammenleben ja, sich Arrangieren ja, sich über den anderen ärgern oh ja (!), zu bequem sein auseinander zu gehen auch ja. Aber auch zwei halbwegs geratene Kinder, die die schlechten Seiten der Kindheit ganz gut verkraftet haben. Manchmal denke ich, dass man das vielleicht als getrennte Eltern besser machen kann?! Ein Freund von mir hat seit zwei Jahren einen Sohn mit einer Affaire, die beiden waren nie zusammen. Aber sie lieben ihr Kind. Und sie teilen sich Freuden wie Belastung. Es ist nicht perfekt, aber wo ist das schon. Jedenfalls kann sich auch immer einer ausruhen, hat mal Zeit für sich. Ich kann noch nicht abschätzen, wie das für den Jungen ist, er ist noch zu klein. Aber er ist ein ganz toller Kerl.

Nun denn, aber ich will den Abgesang noch nicht singen, bevor die Dinge nicht spruchreif sind. Außerdem - so ehrlich muss ich sein - hoffe ich ja klammheimlich noch, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Deine Worte über die neue Liebe klingen in meinen Ohren bislang unüberzeugt, und selbst wenn sich das ändern sollte, gibt es in meinem Bekanntenkreis noch Linda und Matthias, eine Geschichte, die Hoffnung macht. Linda war 17, als sie mit Matthias zusammenkam und 18, als sie schwanger wurde. Sie bekamen Paul, der mit körperlichen und geistigen Behinderungen zur Welt kam. Mit 22 trennte sich Linda von Matthias. Sie wollte noch mal - überhaupt mal! - etwas erleben, hatte Typen, ging Feiern, holte Leben nach. Matthias (der eher mein Freund ist, kenne sie über ihn) trauerte, war verdutzt, wartete, hatte dann aber auch eine Freundin. Und Linda einen Freund. Jetzt spule ich ein paar Jahre vor… TADAA! Sie sind wieder zusammen. Und haben - ist jetzt auch schon zwei Jahre her - das zweite Kind bekommen. Wie das Leben so spielt. Mann!

Sind denn die Konsequenzen eigentlich schon konsequent gezogen? Und wie schaffst Du das Zusammenleben? Wie schafft er es? Und wie geht es Emma? Das, was ich in meinem "Auf dem Weg zum Erwachsensein"-Leben bislang gelernt habe, ist, dass es immer weiter geht. Und finanziell, ist das echt so heftig? Ich hab grad auch zu kämpfen, zum ersten Mal seit ich arbeite. Zwei Wohnungen, eine noch sehr leer. Aber das ist Leiden auf hohem Niveau, irgendwie kratze ich schon was zusammen. Muss nur aufpassen, dass ich mich nicht verzettele.

Den Rest privat und wahrscheinlich kurz. Ich muss Abbitte leisten und will mich kurz erklären. Ein wenig mehr als gestern. Nein, im Ernst, ich sehe das ja wie Du. Das ist wirklich schlecht von mir, wirklich, und ich möchte aus der Nummer auch gern irgendwie rauskommen. Also nicht durch Abstand, sondern durch die Flucht nach vorn.

Und Ihr lieben Mitleser- und -schreiberinnen: Das ist ja schön, dass Ihr uns so herzlich empfangt! Vielen Dank dafür! "Traut" Euch immer! Das Forum soll ja lebendig sein, die Wände bunt, die Hütte warm. Und MarliJo, wie schön, dass Du zwischendurch vorbei gehuscht bist. Deine kleine Geschichte gab mir viel, mehr als Du Dir denken konntest, wahrscheinlich. Das hat mit meinem Privattext zu tun. Wobei ich weiß, dass er sich nichts angetan hätte, hingegangen bin ich trotzdem. Einfach da sein lohnt sich immer, Du hast so Recht. Und ja, ich finde schön, wie sich Nightingales und mein Gefühl überschnitten haben - auch wenn es ihr schwer fiel/fällt - und wie sich unsere Wege wieder kreuzen.

Ich drücke Dich, meine Liebe!

Deine Feather
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feather
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Re: Wiedersehen

Beitrag von feather »

hej,

meine nachricht an Dich scheint im Postausgang zu hängen, ist das Schicksal? Ich hatte Dir in ihr von dem anderen ... geschrieben und kriege sie jetzt nicht raus. Schick mir doch noch mal Deine Emailadresse, falls Du sie nicht bekommen hast.
Jetzt, da ich Dir davon geschrieben hab, wirkt das ... schal. anders, sach- und weniger gefühlsbezogen. Aber es hat mich zurück zu Dir geführt. Und dafür bin ich dankbar.

Muac!
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Nightingale
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

Dann habe ich nachts, als er und ich seit Tagen mal wieder in einem Bett lagen, von Dir erzählt. Irgendwie kam es so über mich, denn auch wenn wir uns trennen, sind wir uns dabei manchmal so nah, so verletzlich dicht, dass kein Raum bleibt für Angst und Unsicherheit. Er sagte, er würde mich beneiden darum, dass ich mich traue, Menschen so nah an mich heranzulassen, dass sie – wie Du, Feather – mein Innerstes kennen. Das Allerinnerste. „Ich weiß nicht, mit wem ich sonst so sprechen kann, wenn Du fort bist“ sagte er und fing an zu weinen.

Und da habe ich noch mal darüber nachgedacht, was für ein Geschenk wir für einander sind, auch P., so frisch das zwischen Euch ist. Dieses Internetding kann soviel Raum für absolute Aufrichtigkeit und Heilung bieten und wenn er sich ganz offenbaren will, dann ist das gut. Dann ist das nichts, wo man gleich aus Angst vor Verletzung wieder die Mauern hochziehen sollte. Das kann schief gehen, klar. Aber schau uns an, das kann auch richtig, richtig gut werden

Weißte, was Deine Halbwahrheiten und meine Betroffenheit angeht, da muss ich mich entschuldigen. Das ist alles theoretische Moral, meine Liebe. Und ich kann es durchaus nachvollziehen, erst Recht weil Du es nicht aus selbstsüchtigen Gründen verschleiert hast, sondern weil Du schützen wolltest. Das heißt nicht, dass der Weg hin zu mehr Offenheit nicht gegangen werden sollte, aber naja, was ich irgendwie auch sagen will, ist, dass ich mal das Maul mal lieber nicht zu weit aufreiße. An einem Punkt in den letzten vier Monaten habe ich in unseren Seiten geblättert auf der Suche nach irgendwas, ich weiß gar nicht mehr, was es war. Ich bin dabei über die Geschichte mit Henrik und der Krankenschwester gestolpert, erinnerst Du Dich? Das war 2005 oder 2006? Was mich dabei am meisten schockiert hat, war meine großkotzige Überheblichkeit, mit der ich diese Frau bewertet habe. Eine Lügnerin! Eine Betrügerin! Und dann auch noch zu feige, um Schluss zu machen! Das ist Ausrufezeichen-Moral, die mit dem Leben – vor allem meinem – so gar nichts zu tun hat und die so falsch ist und fast genauso schlimm wie die Lügen selbst. Was kann ich als Außenstehende zum Thema Moral überhaupt noch sagen. Lieber nix, glaub ich.

Mir geht es heute ganz gut. Aber auch nur, weil ich schon wieder am Verdrängen bin. Oder die Dinge mal nicht für den absoluten Weltuntergang halte, je nachdem wie man es sehen will. „Alles halb so wild“, singt Clueso in dem Link, den mir eine Freundin nach dem letzten ziemlich vergeigten Wochenende geschickt hat. Dieses hier hat dafür ordentlich Sonne, sogar so viel, dass ich seit zwei Tagen mit hochrotem Kopf rumrenne, und zwar nicht, weil ich mich meiner Unfähigkeiten so schäme, sondern weil hier oben für ein paar Tage tatsächlich der Sommer vorbeischaut. Ich hoffe mal, bei Euch am anderen (?) Meer auch.

Da im Bett mit ihm, da ist auch rausgekommen – als hätte ich das nicht eh schon immer gewusst – dass ich das größte Problem mit mir selbst habe. Ich habe mich nie richtig akzeptiert, ich habe nie das Gefühl zu genügen, hübsch genug zu sein, smart sowieso nicht. Ich habe so viel Angst vor Wertung, dass ich mich am liebsten den ganzen Tag in mein Schneckenhaus verkriechen möchte. Und wenn ich mich dann mal hinaustraue, suche ich nach Bestätigung, irgendetwas, das mich weniger klein fühlen lässt. Und dann denke ich an diesen Mann, dessen Makel – aber ist das überhaupt einer? Oder sehen wir das nur so? – so offen daliegt für alle und nicht zu verstecken ist. Ich weiß nicht wie ich das wegstecken würde, oder doch, nämlich gar nicht. Woher nehmen diese Menschen wie P. und Bernd die Kraft, sich davon nicht kleinmachen zu lassen? Heute habe ich einen Artikel über eine 30-Jährige gelesen, die einen Rollator braucht, um das Laufen wieder zu erlernen. Was ist das für ein Geschenk, dass sie das überhaupt kann, und trotzdem hasst sie dieses Ding. Weil es sie zu einem Sonderling macht. Und ich frage mich dann, ob ich nicht einfach irgendwann das Laufen sein lassen würde an ihrer Stelle. So bin ich: Ruf mir drei Mal „Oma!“ hinterher und ich verzichte darauf meine Beine zu verwenden. Hauptsache nicht doof auffallen. Dann robbe ich halt zum Kühlschrank.

Ich weiß nicht, wie ich dahin komme, mich selbst zu akzeptieren, aber ich weiß auch, dass ich so nicht mehr leben will. Nicht zu letzt, weil ich Emma nicht im Schatten dieses Gefühls aufwachsen sehen möchte. Sie soll sich lieben können, sich selbst mit Makel und allem drum und dran, mit Humpelbein, Erbsenbrust und Sprachfehler. Wenn ich ihr das nicht vorleben kann, diese Selbstakzeptanz, was dann?

Auch das spielt hinein in unsere Entscheidung, einen Strich zu setzen. Keinen endgültigen, aber einen der Raum für Neuorientierung lässt. Wir kommen immer wieder an diesen Punkt, an dem wir uns sagen, dass wenn wir ganz ehrlich sind, heute nicht mehr zusammen wären, gäbe es unsere Tochter nicht. Ich weiß, das ist kein Beinbruch. Aber irgendwie doch. Ich bin 25 und ich will mich bewusst für jemanden entscheiden, nicht die Umstände entscheiden lassen. Aber vor allem will ich auch, dass sich bewusst für mich entschieden wird. Das hat er nie. Er liebt mich. Ganz sicher. Aber war er jemals verliebt in mich? Ich weiß es nicht. Und – dazu komme ich vielleicht gleich noch kurz – geht es auch um Fairness. Ich muss ihn ziehen lassen. Wenn es wie in Deinem schönen Beispiel irgendwann gut werden soll, dann brauchen wir das jetzt. Da zumindest bin ich mir sicher.

So, ich hau mal ab, irgendwie ist das noch alles ein bisschen merkwürdig hier. Und meine Hormone spielen verrückt. Da reicht dieses blöde Lied von Edward Sharpe und den Nullen in der Kutsche um mich zum Weinen zu bringen. Apropos Weinen: Hast Du The Broken Circle schon gesehen? Nein? Ich habe lange keinen Film mehr gesehen, der mich so berührt hat. Das noch so.

Fühl Dich Sonnen- und Nighti-geküsst,
J.
feather
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Re: Wiedersehen

Beitrag von feather »

Meine Liebe,

nur kurz hier, das meiste habe ich auf Deine private Nachricht geantwortet. Falls sie nicht angekommen sein sollte (mich ereilte erneut der Hinweis, ich können nicht so schnell zwei Nachrichten hinter einander schicken (was ich nicht tat)), gib Bescheid, sie liegt vorsorglich gespeichert in meinem Email-Postfach.
Ja, der gebrochene Kreis. Den will ich schon seit Wochen sehen, seit ich den Trailer im Vorprogramm des folgenden Films, den ich mit M anschaute, entdeckt habe und gefesselt war.

http://www.youtube.com/watch?v=ykmruw2bhQc

and in english

http://www.youtube.com/watch?v=xUQTNY5yaVk

Schöne Farben. Gefühlte Vertrautheit. Vertraute Gefühle. Alles Weitere bald.

Oh Mann, ich ärgere mich über mich!

Andrea
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Nightingale
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Re: Wiedersehen

Beitrag von Nightingale »

Liebe Andrea,

es ist so: Ich habe mir eigentlich vorgenommen zu schreiben, auch wenn ich bei jedem Satz, bei jedem Wort, denke, doch lieber nicht. Doch lieber nicht schreiben. Sondern Musik bei Youtube hören und ins Leere starren. Das Buch, das eine Freundin mir zu meinem Geburtstag geschenkt hat, damit ich es den richtigen Schreibern gleichtun kann, jenen, die nicht nur die Sprache, nicht nur die verdammten Welten im Kopf, sondern zusätzlich diesen Biss, diesen Mut haben, ohne den Dich die weißen Seiten sonst kleinkriegen, dieses Buch liegt fast unbeschrieben hier herum. Manchmal schreibe ich etwas hinein, das Emma gesagt hat, nur um es nicht zu vergessen. Ich bin der festen Überzeugung, sie ist - im Gegensatz zu meinem gegenwärtigen Selbst - genial.

Denk nicht, dass ich Dich hängen lassen wollte oder dass mich der Verlauf Deiner anderen FF (Forumsfreundschaft) nicht interessiert. Das tut es. Und ich muss Dir sagen, ich war schon versucht zu forschen, aber habe es dann doch sein gelassen. Es ist, wie geschrieben schwer hier weiter zu machen, und ich merke das, wann immer ich ansetzen möchte - und das wollte ich in den letzten Wochen oft. Jetzt läuft hier nicht zufällig Maximo Park - http://www.youtube.com/watch?v=uskBv8lusnU - in einer runtergebrochenen Version und in so einer Mischung aus sanft und kraftvoll, die ich gerade gut gebrauchen kann - und es soll gut werden, damit wir beide denken können, dass diese Räume vielleicht doch noch etwas sind, zumindest für ein bisschen. Wer sagt eigentlich, dass wir immer gleich die großen Lösungen parat haben müssen? Zumindest für ein bisschen Zeit, reichen doch auch die kleinen. Ich werde nicht mehr dieses Mädchen von damals, aber so what? Vielleicht krieg ich ein bisschen ihre Träumerei hin, ein bisschen ihre Leidenschaft, ein bisschen ihren Glaube ans Gute. Wobei: ans Fast-Gute, so eine reine weiße Weste hatte ich damals ja nun auch nicht.

Wie steht's mit der bei Dir? Bist Du wirklich so stark und frei von allen emotionalen Entgleisungen? Sag bitte Nein, sonst fühle ich mich noch ein bisschen mieser als ohnehin schon. Und apropos Entgleisungen, den Film mit der Williams hatte ich tatsächlich schon gesehen und mich damals beinahe vom Titel abwimmeln lassen, weil mir das so verdächtig nach Nicholas-Sparks-Romanzen-Mist klang, und dann war ich am Ende doch ziemlich berührt. Auch weil ich ja fast eins zu eins das gleiche durchmachte und seit Februar - und ehrlich gesagt auch schon vorher gelegentlich - von diesem Gedanken nicht loslassen konnte: Das ist es jetzt? Oder (vielleicht ein bisschen fies formuliert?) das soll es jetzt gewesen sein? Nach dem Abspann fühlte ich mich fast bekehrt, dahin zu sagen: Verdammt. Sei nicht so ein Kind deiner Generation. Sei dankbar, sei bescheiden, sei bemüht. Wirf nicht alles gleich hin wegen eines schönen Gesichts, wegen ein bisschen Trommel-Herz-Action. Die Wahrheit ist aber wahrscheinlich, dass man manches nicht totgekloppt, nicht unterdrückt bekommt, oder ich zumindest nicht, dass ich manche Dinge einfach leben muss. Und dann mit den Scherben, die dieses unbedingt Lebenwollen hinterlässt, das Beste anzufangen versuche, was eben geht. Einen dieser Mosaik-Hippie-Tische zum Beispiel.

(Neulich im Bus habe ich dazu eine Weisheit aufgeschnappt, die mich immer noch nicht so richtig loslässt. Da sagte ein cooler Pubertärer zu seinem anderen coolen pubertären Freund: "Das Leben fickt Dein Karma". Ich hadere immer noch mit der Tiefe dieser Aussage, und glaube, ja, er hat Recht. Wir wollen das Leben einfach so sehr, mit Haut und Haaren und Gefühl, wir wollen es so voll von Bedeutung - oder zumindest voll von dem, was wir im jeweiligen Moment für bedeutsam halten - dass es schwer fällt rund um die Uhr ehrlich und aufrichtig zu sein oder standhaft, loyal. Wenn ich also im nächsten Leben ein Stein werden sollte, hebste mich dann auf und legst mich an eine Stelle mit schöner Aussicht?)

Er und ich sind hier immer noch sehr bemüht, bekommen den Alltag gut hin und sind uns nah. Ich weiß tatsächlich nicht, was das Richtige ist, weiß aber auch, dass wir im Moment - er ist mit seinem Master fertig und in der Bewerbungsphase und ich bin mit allem fertig und in der Berappelungsphase - keine weitreichenden Entscheidungen treffen können. Wir versuchen es mit einem Gleichgewicht aus Ehrlichkeit und Rücksicht, so dass es am Abendbrottisch vorzugsweise fürs gemeinsame Lachen reicht. Wieder keine große Lösung, aber etwas, mit dem wir beide gerade leben können. Emma wird in einem Monat vier und wir peppeln ihr gemeinsam ein Fahrrad auf. Es soll gut sein für uns drei hier zusammen, auch wenn es schwer ist. Und ich glaube, das ist es - also irgendwie okay. Das Geld ist dabei noch immer oberknapp. Ab August habe ich einen Kohle-Job (keinen richtigen) und auch davor spült mir die Sommervertretung bei der Zeitung ein bisschen Geld in die Kasse, aber auf lange Sicht ertrage ich dieses Knabsen einfach nicht mehr. Ich muss endlich mein Studium eintüten. Heute beim Arzt bin ich wieder umgedreht, als die Helferin mir eröffnete, die olle Röteln-Impfung sollte mich 40 Mäuse kosten. Wofür bin ich eigentlich versichert.

Ich wollte auch nicht so total pessimistisch klingen letztens (schlechter Einstieg mit dem Traum vom Selbstmord, i know), und ich danke Dir für Deine aufbauenden Worte. Ich fühle mich dann besonders geschmeichelt, weil es eben andersherum genauso ist. Wenn Du wüsstest, Andrea, wie ich Dich bewundere. Da geht es gar nicht um deine Schönheit - allerhöchstens ein bisschen - sondern auch darum, zu wem Du Dich gemacht hast. Dass Du so ein bad ass bist. Echt mal. Und trotzdem immer rechts und links guckst, und auch die Anderen und deren Unwegsamkeiten nicht vergisst, Dir der faire und offene Umgang mit einem Bekannten so wichtig ist, dass Du im Netz um Hilfe bittest. Überhaupt sollte ich Ben danken, denn wäre bei seiner Familie alles Sonnenschein und Blümchen, Blümchen, Bienenstich gewesen, dann hättest Du Dich nie um Antworten bemühst, dann hätte ich Dich nie getroffen. So gut, dass Du so bist. Wirklich.

Ich hör jetzt Alt-J, die hat mir Eileen gerade am Telefon empfohlen (ich gestehe, hier versteckt sich eine eineinhalbstündige Telefonpause. Ich hoffe Du merkst den Bruch nicht). Ich weiß noch nicht so recht, mal sehen, vielleicht sind die mir gerade ein bisschen zu abgedreht. Ich wechsele mal wieder zu "Something good can work" und Two door cinema club (ich weiß nicht, aber die geben's mir einfach total: http://www.youtube.com/watch?v=pp76eWBrPfo ). Und kurz noch ins Private.

Bis dahin,
Nighti.
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