Neu im "Club" - und suche Rat

Allgemeines Scheidungskinder Forum - Dies ist eine virtuelle Selbsthilfegruppe für Kinder und Eltern in allen Fragen rund um Trennung und deren Folgen.
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Gerda
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Re: Neu im "Club" - und suche Rat

Beitrag von Gerda »

Lieber Chris,

tut mir leid, dass ich dich mit dem Satz möglicherweise genervt habe, den du eh schon ständig hörst.

ich fühle gerade mit dir, dass es ein schwieriger Prozess ist, den du gerade durchlebst. Mir gefällt es, wie unverblümt du das alles beschreibst. Ich kann verstehen, dass es einfacher erscheint, wie es vorher war, als du alles "cool" erleben konntest bzw. an dir vorbeigehen lassen konntest.

Es IST traurig und ES TUT WEH, was deine Eltern miteinander machen. Das ist so für Kinder, das ist so für Erwachsene, das geht auch mir so, wenn ich mitbekomme, dass zwei sich streiten und wenn die eigenen Eltern sich streiten, dann scheint es alles zu zerstören, was man über Liebe gelernt hat. Deshalb finde ich es so schön, dass du dich auf den Weg der Liebe begibst. Zur Liebe gehört auch, den Schmerz zu fühlen und sich damit auseinander zu setzen. Ich hoffe, du fühlst dich nicht zugetextet von mir, wenn ich dir dazu dieses Gedicht schicke. Sonst vergiss es bitte einfach :) Es geht zwar ausdrücklich in erster Linie um die Liebe zu einem Partner/Partnerin, aber ich finde es für alle Beziehungen passend, die von Liebe geprägt sind, also auch zu Eltern, Geschwistern, wertvollen FreundInnen. Für mich ist es so, dass das Leben einen ganz wichtigen Sinn hat, nämlich den, zu lieben und lieben zu lernen, und da bist du offenbar sehr offen und mutig auf dem Weg.
Da sagte Almitra: Sprich uns von der Liebe.

Und er hob den Kopf und sah auf die Menschen, und es kam eine Stille über sie.
Und mit lauter Stimme sagte er:
Wenn die Liebe Dir winkt, folge ihr.
Sind auch ihre Wege schwer und steil.
Und wenn ihre Flügel Dich umhüllen, gib Dich ihr hin,
Auch wenn das untern Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann.
Und wenn sie zu Dir spricht, gleube an sie,
Auch wenn ihre Stimme Deine Träume zerschmettern kann wie der Nordwind den Garten verwüstet.
Denn so, wie die Liebe Dich krönt, kreuzigt sie Dich.
So wie sie Dich wachsen lässt, beschneidet sie Dich.
So wie sie emporsteigt zu Deinen Höhen und die zartesten Zweige liebkost, die in der Sonne zittern,
Steigt sie hinab zu Deinen Wurzeln und erschüttert sie in ihrer Erdgebundenheit.
Wie die Korngaben sammelt sie Dich um sich.
Sie drischt Dich, um Dich nackt zu machen.
Sie siebt Dich, um Dich von Deiner Spreu zu befreien.
Sie mahlt Dich, bis Du weiß bist.
Sie knetet Dich, bis Du geschmeidig bist;
Und dann weiht sie Dich in ihrem heiligen Feuer, damit Du Brot wirst für Gottes heiliges Mahl.
All dies wird die Liebe mit Dir machen, damit Du die Geheimnisse Deines Herzens kennenlernst und in diesem Wissen ein teil vom Herzen des Lebens wirst.
Aber wenn Du in Deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der Liebe suchst,
Dann ist es besser für Dich, Deine Nacktheit zu bedecken und vom Dreschboden der Liebe zu gehen.
In die Welt ohne Jahreszeiten, wo Du lachen wirst,
aber nicht Dein ganzes Lachen, und weinen, aber nicht all Deine Tränen.
Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt nichts als von sich selbst.
Liebe besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen;
Denn die Liebe genügt der Liebe.
Wenn Du liebst, sollst Du nicht sagen: "Gott ist in meinem Herzen", sondern: "Ich bin in Gottes Herzen".
Und glaub nicht, Du kannst den Lauf der Liebe lenken, denn die lIebe, wenn sie Dich für würdig hält, lenkt Deinen Lauf.
Liebe hat keinen andern Wunsch, als sich zu erfüllen.
Aber wenn Du liebst und Wünsche haben musst, sollst Du Dir dies wünschen:
Zu schmelzen und wie ein plätschernder Bach zu sein, der seine Melodie der Nacht singt.
Den Schmerz allzuvieler Zärtlichkeiten zu kennen.
Vom eigenen Verstehen der Liebe verwundet zu sein;
Um willig und freudig zu bluten.
Bei der Morgenröte mit beflügeltem Herzen zu erwachen und für einen weitern Tag des Liebens dankzusagen;
Zur Mittagszeit zu ruhen und über die Verzückung der Liebe nachzusinnen;
Am Abend mit Dankbarkeit heimzukehren;
Und dann einzuschlafen mit einem Gebt für den Geliebten im Herzen und einem Lobgesang auf den Lippen.


Auch wenn es dir schon viele gesagt haben - den Mut, sich für Therapie zu entscheiden muss man selbst aufbringen. Ich glaube, dass sehr viele Menschen zu hören kriegen, dass es gut für sie sein könnte, Therapie zu machen, die das niemals tun. Insofern lass dir dennoch gratulieren zu dem Mut, auch zu dem Mut, dir so Vieles im Innern anzugucken, was sehr sensibel ist, was wahrscheinlich weh tut und was dir Schwierigkeiten macht. Es gibt einen Gewinn dabei, für mich zumindest. Das ist der Gewinn, das Leben tief zu er-leben, wirklich lebendig zu sein, ganz bei mir zu sein, ganz ich-selbst zu sein. Das ist etwas, das erfüllt, jedenfalls mich. Ich glaube, wenn man nicht das Leben mit all seinen Facetten lebt, auch denen, die schwierig sind, die vielleicht auch leidvoll sind, dann gerät man eher in so eine Situation, wie deine Eltern. Wenn jeder Mensch lernen würde, so wie du es jetzt tust, sich für sich selbst zu öffnen, sich um sich selbst zu kümmern, für sich selbst und den individuellen inneren Kummer zu sorgen, dann würden wir nicht - so wie deine Eltern - unseren Kummer an anderen abreagieren. Menschen, wie deine Eltern, die es sich zum Lebensinhalt machen, dem anderen ihre Ablehnung zu zeigen, zeigen, so verstehe ich das, eigentlich die Ablehnung, die sie sich selbst entgegenbringen. Könnte das sein?

Oh, ich glaube dir sehr, dass du dir wünschst, dass der Satz "du bist erwachsen, du brauchst deine Eltern doch nicht mehr" stimmen würde! Der Satz beinhaltet vielleicht sogar einen Vorwurf, dass man noch Bedürfnisse an die Eltern hat. Dann fühlt man sich "nicht richtig", dass diese Bedürfnisse da sind. Ich glaube aber, man braucht die Eltern, so lange sie leben. Man braucht sie, wenn man erwachsen ist, als Rückenstärkung. Als Orientierung, denn sie sind die Älteren, und sie sagen einem vielleicht nur "Du machst es gut, wie du es machst".

Ich glaube auch - aber das kannst du sicher besser beschreiben, als ich - dass Kinder, auch Erwachsene, deren Eltern sich trennen, große Schwierigkeiten haben damit, weil sie ja ein Teil von beiden sind. Jeder besteht zu 50 % aus Vater und 50 % aus Mutter, rein genetisch, rein körperlich. Vater und Mutter sind in uns drin. Wenn sie sich ständig streiten, wenn sie so lieblos sind, dann ist das auch im Innern eines Kindes so, dieser STreit. Wenn ich so bin, wie Papa, dann mag Mama mich nicht, ganz platt gesagt. Oder umgekehrt. Ach, ich glaube, ich kann es schlecht ausdrücken. ich stelle mir einfach vor, dass es sehr schwer ist, sich selbst zu mögen, wenn diejnigen, von denen man abstammt, einander nicht mögen.

Ich freue mich, zu lesen, dass deine Mutter deine Grenzen respektiert. Braucht sie Abstand oder straft sie dich mit Kontaktentzug? Oder "kann" sie einfach noch gar keinen anderen Kontakt, als den, wo sie die Ratsuchende ist?

Ja. Das ganze Leben ist ein ständiger Prozess von Veränderung. Wenn wir uns der Veränderung stellen, dann bleiben wir lebendig. Wenn nicht, dann versinken wir in einem inneren Sumpf. Mach weiter so, Chris. Du bist auf einem sehr guten Weg. Und es macht mir Freude, dass du mir davon schreibst.

Liebe Grüße
Gerda
"Unser wahres Zuhause ist der gegenwärtige Augenblick. Wenn wir wirklich im gegenwärtigen Augenblick leben, verschwinden unsere Sorgen und Nöte, und wir entdecken das Leben mit all seinen Wundern.“

Sei selbst die Veränderung, die du dir wünschst.
schwarz
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Re: Neu im "Club" - und suche Rat

Beitrag von schwarz »

Hallo, liebe Gerda,

ich fühle mich in keinerlei Hinsicht zugetextet, sondern viel mehr verstanden und mit meinen wirren Gefühlen ernstgenommen. Das tut verdammt gut.

Mir ist beim Lesen eben eines durch den Kopf geschossen, ein Satz den ich vor Kurzen in einem Blog gelesen habe, nur leider weiß ich nicht mehr in wessen. Es heißt dort, dass diese inneren Narben, die wir alle in uns tragen, Ehrenzeichen seien. Sie zeigen, dass wir gelebt und geliebt haben.
Umso mehr man liebt, diese Liebe auch wirklich zulässt, umso schwerer und stärker kann man verletzt werden. Das ist eine Entwicklung, die ich auch bei meine Eltern lange eindrucksvoll beobachten konnte. Ich finde diese Einsicht, um Liebe und Schmerz, immer wieder ernüchternd. Wenn ich liebe – muss ich auch leiden.
Doch ich bin auch der Überzeugung, zumindest jetzt gerade in diesem Moment, dass man dieses Risiko wohl oder übel eingehen muss, dass es der tiefe Fall wert ist, wenn man dafür den Sternen so nahe sein darf. Ich weiß, dass ist etwas überspitzt, aber ich mag dieses Bild.
Ich glaube, es stimmt schon so, dass man wirklich lieben lernen muss, sich dem schönste, intensivsten und schmerzhaftesten Gefühl öffnen muss, um sich selbst richtig spüren zu können. Halt letztendlich wahrhaftig „ich-selbst“ zu sein, lebendig zu sein und sich auch so zu fühlen, nicht nur zu existieren. Ich muss und will dir zustimmen, lieben gibt einem „lebendigem“, erfülltem Leben den Sinn.

Meine Eltern zeigen sich ihre Ablehnung auf eine so unbeschreiblich verletzende Art, wenn sie sich jetzt noch notgedrungen begegnen. Dabei sind sie beide jeweils ihr eigenes größtes Problem, zumindest kommt mir das so vor. Sie können nicht mir sich selbst umgehen, vielleicht verstehen auch meine Eltern sich selbst nicht.
Allgemein ausgedrückt: Menschen hassen andere, weil sie mit sich und ihrem Leben nicht klar kommen. Auf alle Fälle erscheint es mir hier so.
Deshalb will ich mich selbst verstehen und das was da ,besonders jetzt, mit mir vorgeht. Ich will nicht „enden“, wie meine Eltern. Ich will anders sein/werden.

Du hast vom inneren Streit des Scheidungskindes geschrieben, „wenn ich so bin, wie Papa, dann mag mich Mama nicht“. Ich glaube, dass geht den Meisten so. Das beobachte ich zur Zeit stark bei dem Verhältnis von meiner Mutter zu meinem Bruder. Da fällt schon gerne mal der Satz, in abwertendem Tonfall: „Du benimmst dich ja schon genauso wie dein verdammter Vater!“. Das tut schon weh.
Was kann er dafür, was können wir dafür. Wir sind nun einmal 50/50, eben das Ergebnis ihrer „Liebe“.
Mir persönlich geht beim Gedanken an meine sozusagen Abstammung etwas anderes häufiger durch den Kopf: „Bitte lass' mich nicht so werden.“ Auch wenn es hart klingt, auch wenn ich dabei nicht vergessen sollte, dass es da um meine Mutter und meine Vater geht, die Menschen die mich mehr oder weniger aufgezogen haben, werde ich diesen Gedanken wohl nicht mehr los. Ich will nicht so viel und stark hassen.

Was den neuen Abstand meiner Mutter angeht, bin ich ziemlich verunsichert, was für eine Art Abstand das ist. Ich glaube, dass sie sich und wohl auch mich damit irgendwie schützen will.
Es macht mich immerzu unruhiger, jedes mal wenn ich sie sehe wirkt sie noch etwas fertiger. Ich glaube, wenn ich jetzt wieder auf sie zugehen würde, was eigentlich kontraproduktiv für mich ist, würde sie meine Hilfe nicht mehr annehmen.
Mein Vater zeigt sich nur noch kalt und „stark“, es sei denn er streitet sich mit meiner Mutter. Mir war vorher schon klar, dass er seltsam ist, aber jetzt übertrifft er sich selbst.

Ich habe dieses Gedicht immer und immer wieder gelesen. Immer wieder etwas neues entdeckt. Eine neue Facette, die viel über Liebe sagt, viele Seiten der Liebe aufdeckt. Und ich glaube, ich werde es auch noch häufig lesen müssen, um alles zu erfassen.

Das sind so die Feststellungen, die ich mittlerweile gemacht habe. Irgendwie kommt mir das heute alles so nüchtern vor, etwas zynisch. Im Augenblick angenehmer, als dieses emotional übeladenen Gefühl.

Liebe Grüße, Chris.
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Gerda
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Re: Neu im "Club" - und suche Rat

Beitrag von Gerda »

Lieber Chris,

es ist doch gut, wenn du auch mal Nüchternheit spüren kannst und nicht nur emotional überladene Gefühle, oder?

Das mit deiner Mutter und ihrer Zurückhaltung, das stelle ich mir ganz schön schwierig vor für dich. Magst du ihr das mal sagen?

Schön, dass du in dem Gedicht immer noch was Neues entdecken konntest. Ich lese das immer wieder. Vor allem, wenn ich die Liebe schmerzhaft empfinde. Für mich ist es auch so, dass ich Liebe lernen muss, vor allem aber auch möchte. Liebe lernen heißt für mich, dieses bedingungslose Ja-Sagen zu dem Menschen an meiner Seite, zu meinen Kindern, zu allen Menschen. Liebe heißt Verstehen. Die vier Qualitäten von Liebe übe ich: Mitgefühl, Verstehen, Freundlichkeit, Freude machen. Am wichtigsten ist das mit mir selber. Es ist ja inzwischen eine Binsenweisheit, dass man nur andere lieben kann, wenn man sich selbst liebt. Aber wer bringt einem das bei, sich selbst zu lieben? Ich übe da sehr schwer dran. Mitgefühl mit mir selbst? Ich habe total lange die Antreiber und fiesen STimmen in mir selbst über mich selbst angeguckt und versucht, sie "abzuschneiden", nicht mehr so über mich zu denken, sondern freundliche Gedanken über mich selbst zu machen.

Wenn mir jemand weh tut, weil er an eine empfindliche Stelle in mir rührt - was mache ich dann? Wenn ich nicht zurückverletzen möchte, was gibt es für Handlungsalternativen? Ich finde es sehr schwer für mich, das bedingungslose Akzeptieren, wenn mir jemand weh tut. Dann die Verantwortung für mich und meine Gefühle übernehmen und mich um das Kümmern, was weh tut, damit ich mein Herz für den anderen offen halten kann. Das gelingt mir ganz ganz oft noch nicht. Puh. Und ich bin schon 54. Aber ich war mit 19 nicht so klug, wie du. Ich habe mir solche Gedanken noch gar nicht gemacht.

Dabei fällt mir gerade ein Link ein, den mir gestern jemand geschickt hat und das Lied hat mir so gut gefallen. Vielleicht magst du es ja auch. Oder kennst es schon längst. www.youtube.com/watch?v=6_43S3lgq2Y

Liebe Grüße
Gerda
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