Lieber Volker, ich finde nur "krank", wenn jemand etwas mit ALLEN MITTELN verdrängt. Ich denke mal, daß ich hier die "Psychofritzen", wie ich sie gerne liebevoll nenne, wenn sie nicht nur Schubladen bewegen, meinungsstärkend hinter mir habe.
Wo genau in unserer Gesellschaft Gemeinschaft wirklich gefördert wird, ist eine gute Frage, die einem so richtig bewußt macht, daß man lange nach Antworten suchen muß.
Ich denke, daß die "kranke Indvidualisierung" unserer Gesellschaft eine Folge einfacher Mechanismen ist, die man gezielt beseitigen könnte, würde man sich ihrer bewußt werden. Auch wenn wir damit vom Thema abschweifen, will ich die Faktoren mal nennen:
1. Das Erfahrungswissen der Menschheit ist im letzten Jahrhundert regelrecht explodiert. Damit wurden Entwicklungen möglich, die man nur bestaunen kann. (Vor rund 50 Jahren wurde in Chicago der erste "Großrechner" vorgestellt, der damals 5.000 Rechenoperationen pro Sekunde leistete. Die Fachpresse schwärmte, daß es nicht so schnell Computer geben wird, die schneller arbeiten werden, aber an der Größe wird sich sicher einiges ändern. Das Monster wog 30 Tonnen und, wenn ich mich recht erinnere und brauchte 180 Quadratmeter Platz ... - Vor 100 Jahren wurden Säuglinge noch ohne Narkose operiert, weil man durch ihr Schreien annahm, sie würden noch keine Schmerzen empfinden ...)
2. Was sich entwickelte zur Mehrung unserer Wohlgefühle, ermöglichte immer schneller noch mehr Entwicklungen. Und so weiter, und so weiter, auch
sagenhafte Kommunikationstechnik und Automobile, mit denen man seinen kleinen, überschaubaren Verantwortungsbereich (Familie, Großfamilie, Dorfgemeinschaft, Stadtviertel) verlassen konnte, wenn einem was zu viel Unwohlgefühle machte ...
3. Mit sagenhafter Kommunikation und grenzenloser Mobilität haben wir dann unsere relativ einfach kontrollierbaren kleinen Gemeinschaften immer weiter ausgedehnt, die dann durch Institutionalisierung, Zentralisierung und Internationalisierung immer größer und unüberschaubarer wurden. Beeindruckend für viele. Was riesig ist, ist ja meist gut. Sitzen viele Fliegen drauf, muß es schmecken ...
Das alles führte unter zu viel Ignoranz zur Ellenbogenmentalität. Unter der damit zunehmenden Vereinzelung des Menschen leiden wir heute, mehr als wir uns durch Forenbesuche und Handymanie bewußt machen wollen ... Ohnmachtsgefühle und Ängste nehmen zu. Wer Macht hat, setzt sie ein, um sich besser zu stellen als die vielen anderen, die sich eh nicht um uns kümmern. Und so weiter, und so fort ...
Ich mußte mir sehr viele Gedanken machen über die soziale Inkompetenz der Zeitgenossen, weil ich durch meine "Stellung" als Unfallopfer mit sehr belastenden Problemen hautnah erleben konnte, wie immer mehr Freunde keine Zeit mehr hatten und sich zurückzogen, um sich nicht zu belasten.
Pst: Ich habe "Kommunikationstechnik" nur deshalb fett geschrieben, damit Laura beim Drüberfliegen das Gefühl bekommt, daß wir beim Thema geblieben sind ...
Liebe Tami, klar macht jedes Verhalten Sinn, weil hinter allem, was wir denken, tun oder unterlassen der Zweck steckt, Wohlgefühle zu sammeln. Mit welcher Art von Sinn wir dann diese unersättliche "Gier" maskieren, ist jedem weitgehend selbst überlassen, soweit er mächtig genug ist. - Das habe ich jetzt sehr provokativ ausgedrückt, in der Hoffnung, daß sich Ablehnung regt, die nach Beseitigung dann das Wohlgefühl eines Erfolges produziert ... ;)
Eine FÜR den Menschen "bemühte" Absicht allein nützt aber nicht viel, wenn dieser Mensch so dumm kommuniziert, daß er die guten Absichten seiner Mitmenschen ins Gegenteil verkehrt und sich Menschen, die er zum Freund haben könnte, zum Feind macht.
Eigenes Verhalten anerkennen und wertschätzen ist ein Kinderspiel. Fremdes Verhalten genauso achten und würdigen, ist meist unmöglich, weil wir uns aufgrund zu geringer Informationen selten in die entscheidungsrelevanten Situationen anderer versetzen können. Weiß man das, ist es einfacher, das Denken, Tun und Unterlassen anderer zu akzeptieren. Meist akzeptieren wir es ja nur deshalb nicht, damit wir unsere Macht steigern, um mehr Wohlgefühle zu bekommen ...
Ehrliche Menschen, die nicht alle Bücher lesen, rausschmeißen ...? Aus was rausschmeißen? Aus einer Denkschublade? Wo denkst Du hin, Tami ...?