Vergebung

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MarliJo

Re: Vergebung

Beitrag von MarliJo »

Lieber Volker und ihr anderen !

Hier kommt nun doch der erwartete "Protest" :) .
Ja, ich sehe es auch so, dass Vergebung erst dann möglich wird und ist, wenn ich mir und der anderen Person meine Anteile am Verschulden einer (gegenseitiger ) Verletzung erkannt habe. ABER,... aus meiner Erfahrung entwickelt sich daraus ehr selten ein Gefühl der Liebe - MitGEFÜHL wohl ja, denn das heist wörtlich übersetzt nichts anderes, als am Gefühl des anderen teilzunehmen. Das hat direkt mit Vergebung zu tun.
Und ja, Vergebung hat auch mit eigener und des anderen Wertschätung zu tun.
100 % ige Vergebung wird es niemals geben, weil es keine 100 %ige eigene Wertschätzung gibt. Wer kann das schon ? Es scheint mir unmenschlich.

Liebe Grüße MarliJo
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Gerda
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Re: Vergebung

Beitrag von Gerda »

Hallo Ihr Lieben,

für mich, lieber MarliJO, ist die Frage nicht, ob es das 100 %ig gibt, Wertschätzung, Vergebung, innerer Frieden, sondern für mich sind diese Werte Nordsterne, nach denen ich mich orientiere. Und es gibt Momente, wo ich diese Nordsterne 100%ig in mir präsent fühle. Das empfinde ich nicht als unmenschlich - vielleicht meinst du übermenschlich? - sondern als Verwirklichung meines höchsten Potentials. Nein, ich bin nicht in jeder Minute 100 % ig in Wertschätzung. Da gibt es immer weiter etwas zu entwickeln. Aber es ist ein Wert, den ich 100%ig annehme als meinen. Als das, wohin ich mich entwickle und wo für mich höhere Prioritäten sind als bei anderen Werten.

Die Idee, Volker, mein Sohn könne mich über alles lieben, und dass er nur keinen Weg findet, das in einer erwachsenen Form zu tun, ist ein sehr schöner Gedanke. Vielleicht schreibst du das ja auch als Sohn, der sich in Verhaltensweisen meines Sohnes wiedererkennt? Ich als Tochter kann jedenfalls sagen, dass ich es wiedererkenne. Wobei ich meiner Mutter gegenüber "erwachsen" geworden bin, während sie auch noch, als ich schon Großmutter war, "Kind" zu mir sagte. Ja, mit ihr habe ich keine Form der erwachsenen Tochter-Mutter - Beziehung gefunden. Sie wollte mich nicht als Erwachsene, sie wollte mich paradoxerweise immer weiter als Kind, das sie bemuttert und das keine Selbstverantwortung von ihr kennt und diese deshalb immer weiterihr abnimmt und für sie sorgt.

Die "Auge um Auge" -Historie kannte ich nicht und finde sie hochinteressant. Für die Unterscheidung in "Vergeben" und "Verzeihen" fehlt mir die Sensibilität :D . Für mich ist das ein und dasselbe. Für mich gibt es eine andere Unterscheidung:

Ich kann in meinem Herzen vergeben und verzeihen. Ich kann das aber manchmal nicht als Facette einer Beziehung LEBEN. Denn wenn die andere Person einen Fehler nicht sieht, das Fehlverhalten nicht reflektiert, mir immer weiter weh tut, dann führt das zu Stagnation in der Beziehung an demselben Punkt, ohne Entwicklung. Dann kann ich zwar weiter im Herzen vergeben, nicht aber in der Beziehung.

Gerda
"Unser wahres Zuhause ist der gegenwärtige Augenblick. Wenn wir wirklich im gegenwärtigen Augenblick leben, verschwinden unsere Sorgen und Nöte, und wir entdecken das Leben mit all seinen Wundern.“

Sei selbst die Veränderung, die du dir wünschst.
Tamara22
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Re: Vergebung

Beitrag von Tamara22 »

Hallo an alle,

lieber Volker, das Beobachten der Kinder ist so als schaute man in den Spiegel, nur dass sie sich das erlauben, was wir uns schon verboten haben. Deswegen hat es sehr viel mit zu sich stehen zu tun, wie du so schön schreibst, ja. Ich merke auch, dass ich meine inneren Teile ablehne, die ich an meinen Kindern kritisiere, z.B. laut sein, dazwischenbrüllen, nicht zuhören. Ach was würde ich das auch manchmal gerne tun...da habe ich noch viel zu lernen und dank meiner Beiden auch die Möglichkeit dazu. Eine weitere Chance?

Vergeben und verzeihen, ich merke da schon einen Unterschied, ist nur schwierig in Worte zu fassen. Ich versuch es mal.
Ich empfinde Verzeihen als Handlung, ob nun verbal oder durch Taten oder nicht-Tun. Vergebung ist eine inner Haltung. Sie macht die Leinwand wieder weiß, sie befreit von altem und macht lebendig. Wenn ich so nachspüre, dann hat es sehr viel mit Lieben zu tun, es ist unwichtig wie du dich verhälst, vielleicht sogar wer du bist...
Ich vergebe dir ist kraftvoll, umfassend...eben diese schützende Hand, die immer ausgestreckt bleibt...

Tami

Nachtrag, ich empfinde mich manchmal dazu einfach zu menschlich, da braucht es etwas göttliches für, das über dem allen steht. Ich kann schon verstehen wie Bilder entstehen, wie wir treten vor Gott und uns wird vergeben...wir bereuen und werden von unseren Sünden befreit. Mein Gedanke geht noch weiter, auch wenn mir die Fähigkeit zu bereuen fehlt, so gibt es etwas Göttliches (wenn man es so nennen will), das mich dennoch liebt und annimmt wie ich bin, mir vergibt und mir eine Daseinsberechtigung gibt, einfach um meinetwillen...zu abgehoben?
Change it, love it or leave it.
Volker
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Re: Vergebung

Beitrag von Volker »

Hallo Marli Jo,

Dein Blick, wenn er sich zurück in die Vergangenheit wendet... Welche Qualität hat er? Wie gehst du mit Dir um? Machst du Dir Vorwürfe?
"Das Leben ist wie Zeichnen ohne Radiergummi" - Bist du nun ein schlechter Zeichner??? oder siehst du für die Zukunft ein anderes Bild und entwirfst dieses?? Welche Qualität hat der Entwurf? Welche Wertschätzung kannst du geben? Dir, deinem Tun, deinem Werk? ... Da geht es oft nicht um 100 % auch oft noch niecht mal um 30%... Bei der Beantwortung solcher Fragen geht es häufig erst mal darum, ob überhaupt wir überhaupt Wertschätzung in den Blick nehmen ...

Zur Liebe und zum Mitgefühl: "Liebe ist immer irgendwie anders ... Ich meine damit durchaus sowas wie Mitgefühl und Verbundenheit mit meinem Gegenüber, insofern lieb(g)en wir wohl gar nicht weit auseinander:-)
Volker

Es ist unglaublich, wieviel Kraft die Seele dem Körper zu leihen vermag. (W. v. Humboldt)
MarliJo

Re: Vergebung

Beitrag von MarliJo »

HAllo ihr Alle !

Ja, liebe Gerda, das Wort "übermenschlich" trifft das was ich meinte besser.
Den letzten Absatz deines Posts von heute Mittag finde ich sehr treffend formuliert - genauso empfinde ich es auch.
Verzeihen und Vergeben kann ich einem Anderen auch - auch wenn diejenige Person dem Anschein nach sein eigenes Fehlverhalten nicht sieht (sehen will). Nur fühle ich es dann so, dass es mir schwer fällt, diese Person wertzuschätzen. Ganz gleich wieviel %ig diese Wertschätzung ist, sie wird weniger und ich kann sie erst nach und nach wieder aufbauen.

Lieber Volker, du stellst viele Fragen :rolleyes: . Fange mal mit dem Antworten an, solange ich noch etwas Zeit habe.
Wie die Qualität ist, wenn ich in die Vergangenheit blicke ? Mein Blick zurück stellt sich für mich so da, dass ich sagen kann, dass ich zu dieser Vergangenheit stehen kann und nichts bereue, was mit ihr zusammenhing - auch meine 18jährige Beziehung zu meiner Ex-Lg nicht. Im letzten Drittel ist sehr viel schief (auseinander) gelaufen und ich lerne mit diesem "Versagen" umzugehen. Vorwürfe mache ich mir insofern, als das ich das "Schiefe" in mir, in Ihr und letztlich in unserer Beziehung nicht wahrgenommen/ oder ernstgenommen habe. Ich habe mich zu sicher im Bild der "heilen Familie" gewogen.
Am Ende MUSSTE es scheitern Aber ich mache mir keine Vorwürfe diese Beziehung gelebt zu haben - mit allen positiven und negativen Bildern, die mir in Erinnerung geblieben sind und bleiben werden.
Und so fühlt sich meine Signatur "Zeichnen ist Leben OHNE Radiergummi" für mich gut an. Die Bilder sind gemalt -in jedem Moment,jede Stunde, jeden Tag- und SO bleiben sie in der Erinnerung. Abhängen nicht möglich. Würde ich das tun, müsste ich meine Vergangenheit verleugnen,... das aber würde Vergebung unmöglich machen.
Ob ich nun ein besserer Zeichner bin, weiß ich nicht. Ich glaube ich gucke genauer hin, was ich da zeichne. UNd indem ich auf alte Bilder blicke, kann ich aus ihnen lernen, es anders zu machen - so dass es sich für mich und andere besser anfühlt.

Soweit erst einmal.
Liebe Grüße MarliJo
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Ansa
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Re: Vergebung

Beitrag von Ansa »

Guten Abend,

ich denke solch ein Spruch "das Leben ist wie Zeichnen ohne Radiergummi" ist ähnlich dem meinen, den ich lange Zeit hatte, "Ein unbedacht gesprochenes Wort ist wie ein Pfeil der von der Sehne geschnellt, auf sein Ziel zufliegt. Kein Bitten, kein Flehen, kein noch so inniger Wunsch, kann das eine oder das andere aufhalten und ungeschehen machen, was sie auf ihrem Weg berührt haben."

Die Dinge die geschehen sind, sind einfach nicht rückgängig zu machen. In meinem Leben gibt es viel Verzeihen und Vergeben, ich mag die Dinge nicht so klar von einander trennen. Ich selbst kann für mich ruhiger Leben, wenn es niemanden mehr gibt, der mir Gram ist oder dem ich etwas nachzutragen habe.

Ich bin ein misshandeltes Kind, von daher, verzeiht mir bitte, wenn ich trotzdem der Ansicht bin, das Vergeben nicht immer der Weg ist, der gehbar ist. Meine Eltern, zumal mein Vater haben mich schwer getroffen - und nichts kann die Dinge ungeschehen machen, die sie mir angetan haben. Natürlich ist mir heute, mit meinem Wissen das ich habe, klar, das sie keine anderen Lösungen wussten - obgleich, wenn sie mich in den Keller zerrten, damit niemand mein Schreien hören konnte - dann kann ich davon ausgehen, das ihnen bewusst war, das sie ein Unrecht begingen - indem sie mir dann ihr Gewissen zusätzlich als Last aufbürdeten "Du bist ja so ein böses Kind, wir müssen Dich schlagen, wir wollen das doch gar nicht, aber Du willst das ja so" begingen sie meiner Meinung nach, ein zweites Unrecht, das ungleich schmerzvoller war. Sie wussten nicht anders - aber entschuldigt solch "Nichtwissen" die Handlungen, die einer da begeht? Und was verlange ich, von einem gequälten Menschen, zumal einem hilflosen Kind, wenn ich sage "aber erst wenn Du verziehen hast, dann wird es Dir besser gehen?" Nichts wird davon ungeschehen oder leichter zu tragen sein - im Gegenteil, es wird erwartet, das all die Dinge für die sich entschuldigt wurde, keinen Belang mehr haben - man darf sie nicht mehr erwähnen - denn sie sind vergeben? Das finde ich sehr fragwürdig.

Die gesellschaftliche Meinung folgt diesem Trend, Therapeuten suchen den "eigenen Anteil" und ich denke mir so oft, genau diese Einstellung festigt bei einem misshandelten Menschen das Bild "von der eigenen Schuld." Meine Mutter sprach viele Jahre später mit mir, "was sie denn hätten tun sollen und ich müsste doch Verständnis haben, für das was passiert sei....." Ich habe ihr geantwortet, das ich denke, das sie die Erwachsenen waren und ich das Kind und das ich immer noch der Meinung bin, sie hätten einen anderen Weg finden müssen. Ich konnte ihr sagen, das ich ihr Handeln als Solches verstehen würde, aber es war und bleibe falsch. Sie hielt mich für aufsässig, immer noch.... sie wollte eine Vergebung und dann nie wieder darüber sprechen - nun ja.

Ich bin meinen Eltern heute nicht mehr Böse, ohne sie und ihr Handeln wäre ich nicht die Frau geworden, die ich heute bin. Ohne meinen Exmann, der mich emotional misshandelte und der eine ganz feine perfide seelische Gewalt ausübte, wäre ich heute nicht ich. Von daher trage ich ihnen nichts nach. Vielleicht ist das ein Schutz? Ich weiß es nicht. Ich sehe heute meine Kinder und denke mit manchmal, "Wie anders wäre mein Leben verlaufen, hätte ich so aufwachsen dürfen?" Und es schmerzt mich, wenn sie nicht wissen, wie gut sie es haben. Sie können es nicht wissen, das weiß ich, sie kennen ja nichts anderes. Sie stehen da und lassen sich nicht schlagen oder beleidigen - sie können nicht ansatzweise verstehen, wie ein Mensch sich fühlt, der so groß geworden ist. Und mit dem Überschwang der Jugend tut ihr Unverständnis manchmal weh, weil ihre Worte unbedacht sind, oder besser - sie sprechen über unbekannte Dinge. Wenn es um häusliche Gewalt geht, dann stehen sie schonda und äußern sich "wie kann die nur so blöd sein und sich schlagen lassen"? Und meine Erklärungen erreichen sie nicht.

Ich versuche heute jeden Konflikt zu beheben, durch Gespräche, durch Handeln, es ist mir wichtig, wichtig verstanden zu werden, wichtig zu verstehen. Viele Konflikte entstehen nur aus dem Unverständnis was man manchmal für sein Gegenüber empfindet. Ich vermittle gern und suche Lösungen für beide Seiten, aber ich spüre auch oft ein Aufatmen, wenn ich erkläre, das man eben nicht die Dinge verzeihen muss, die passiert sind, sondern das man sie annehmen muss "das war eben so" und das man dann, mit dem Wissen von jetzt, die Zukunft beeinflussen kann. Ich muss mich heute nicht mehr misshandeln lassen, weil ich das nicht will. Aber ich muss annehmen das die Dinge so waren und ich kann oder darf meine Eltern lieben, auch wenn ich ihr Handeln nach wie vor ablehne. Das hat mir viel Frieden gegeben.

Wenn ich meine Exschwiegereltern sehe, an dem Scheitern unserer Ehe bin allein ich schuld. Ihr armer Sohn konnte mit mir als Frau nichts anderes tun, als fremd gehen.... das haben sie mir wörtlich gesagt. Das seine Firma beinahe den Bach runter gegangen ist (seine Mutter führt ihm heute das Büro und sagt ihm wo es lang geht) das ist meine Schuld, ebenso auch, das meine Kinder nicht aufs Gymnasium gehen - sie haben mir unendlich weh getan - aber böse bin ich ihnen nicht mehr. Ich verstehe, das sie mir die Schuld geben müssen, um ihre eigene nicht annehmen zu müssen. Sie müssten sich und ihr Leben in Frage stellen und darüber nachdenken, welche Werte sie ihrem Sohn vermittelt haben. Das sie das nicht können oder auch nicht wollen, das kann ich verstehen. Trotzdem war ihr Verhalten nicht richtig und das wird es auch nicht mehr werden. Seit ich einem ihrer Bekannten mein Herz ausgeschüttet habe, habe ich bei ihnen Hausverbot - es ist demütigend, die Kinder zu Oma zu bringen und nicht "hinein" zu dürfen.

Sie betreten mein Haus nicht, sie kommen nicht zur Konfirmation ihrer Enkel - und sind mir böse, weil ich die Feiern nicht teilen will. Mittlerweile, so viele Jahre später - finde ich ihr Beharren in der Situation eher traurig, als das es weh tut. Es gab keine Glückwünsche zu meiner Hochzeit, mein Exschwiegervater verbietet sich meine Glückwünsche zu seinem Geburtstag (wir haben am gleichen Tag)? Was verwehren sie sich selbst? Ich habe ihnen vergeben, ich für mich, weil ich sehe, in was sie gefangen sind. Sie haben mein Mitgefühl. Aber das fällt mir nicht leicht, denn sie geben an meine Große das ab, was sie an mir nicht mögen, ihr "Du bist genau wie Deine Mutter!" ist alles andere als lieb gemeint. Die Große schmerzt es..... muss sie es verzeihen? Mich schmerzt es und so haben die Dinge kein Ende.... immerhin, die Große wehrt sich "ja, besser als wenn ich so wäre wie Du, gell?" sagt sie und dann ist sein Tag gelaufen.

Da ist ein jahrelanger Prozess entstanden, ich wollte so gern, das sie mich verstehen..... ich habe mich bemüht, um Klärung und ich musste damit leben, das sie nicht wollten - das war sooo schwer. Meine Exschwiegermutter stand mir einmal näher als meine eigene Mutter. Ich habe nicht nur um meinen Exmann geweint, sondern auch um eine Familie - aber ich habe spät verstanden, das sie mich nur so wollten, wie sie meinten, das ich sein sollte. Dieser Preis ist mir zu hoch, immer noch. So habe ich aufgegeben zu gratulieren, aufgegeben Kontakt zu sichen, denn die einzigen, die darunter zu leiden hatten, waren meine Kinder. Das war es mir nicht wert. Ich weiß nicht, wie sich die Dinge entwickeln.... ich lasse das auf mich zu kommen.

Natürlich ist es wichtig, Kindern das Miteinander vorzuleben, es ist wichtig, ihnen beizubringen, sich zu entschuldigen. Das ist der erste Schritt auf dem Weg zum Verstehen, aber irgendwo, zwischen dem geforderten Entschuldigen und dem geforderten Annehmen gibt es eine schmale Grenze, die nicht immer klar fest zumachen ist und wenn diese überschritten wird, dann lernen Kinder das sie tun können was sie wollen, wenn sie sich nur anschließend dafür entschuldigen. Und das halte ich für gefährlich. Sie müssen, wenn sie älter werden, spüren, das entschuldigen mehr ist als ein "ach sorry, tut mir leid". Ich sehe das hier zu Hause, da haben sich die Kinder weh getan und die eine entschuldigt sich, während die andere noch zutiefst verletzt ist. Sie ist gar nicht in der Lage die Entschuldigung anzunehmen und zu würdigen, während die andere dann sauer wird, weil ihre Entschuldigung nicht angenommen wird. Da müssen sie lernen, das es für alles den richtigen Zeitpunkt gibt.

Und für mich und meine Familie ist es ganz wichtig, offen und ehrlich zu sein. Ich bemühe mich meinen Kindern beizubringen, das sie besser sagen sollen "ach ich bin heut schlecht aufgestanden, kannst Du mich heute morgen beser in Ruhe lassen" und ganz wichtig "mein Ärger hat grad nichts mir Dir zu tun!" als das sie vor sich hingrummeln und am Ende jeder denkt, "was hab ich denn bloss falsch gemacht." Sie lernen dabei aber auch, genau auf sich zu achten und das kann ihnen nur helfen.

Wie sagte neulich mein Mittelchen "ich glaube ja wohl, das Du die einzige Mama bist, die sich für ihr Handeln entschuldigt und die sagt "ich habs nicht besser gewusst," lass uns miteinander lernen, ich weiß auch noch nicht alles." Und die Große nickte und sagte "wenn alle Mamas so wären, dann hätten es die Kinder leichter" Ja, hab ich gedacht, die Großen auch, da bin ich mir sicher. Wichtig ist vielleicht nicht das verzeihen an sich, sondern die eigene Authentizität? Und der Unterschied zwischen "Du musst verzeihen " und "Du darfst verzeihen, das ist Deine Entscheidung". Das bringt sie zumindest zum Nachdenken, was ihnen aus welchem Grund wieviel Wert ist und was nicht.

Nachdenkliche Grüße
Niana
Sei zärtlich mit den Kindern, mitfühlend mit den Alten, nimm Anteil an denen, die sich anstrengen, sei sanftmütig mit den Schwachen und geduldig mit den Starken; denn eines Tages wirst Du dies alles gewesen sein. (nach C.W. Carver)
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Re: Vergebung

Beitrag von sonnenschein2 »

Wow Ihr Lieben,
ich habe schon lange nicht mehr so intensiv gelesen wie in den letzten Minuten. So viele Facetten und Gedanken stürmen auf mich ein. Ich kann es noch nicht so sortieren und differenzieren wie ihr es in euren Antworten getan habt. Ich lerne gerade erst zu sprechen und Dinge beim Namen zu nennen und doch, ich kann so vieles nachvollziehen von dem was geschrieben worden ist.
Für mich ist Vergebung ganz wichtig geworden. Zunächst einmal mir selber vergeben zu können. Meine Schuld zu erkennen, mein Dazutun zu einer Situation und Frieden mit mir machen zu können. Fehler eingestehen können, schwach sein dürfen und dies anzunehmen. Sehr schwierig für mich...
Wißt ihr, ich bin ein sehr konfliktscheuer Mensch. Ich halte Spannungen nur sehr schlecht aus. Wenn mich ein Mensch verletzt neige ich dazu mir zu sagen, "So schlimm war es ja jetzt auch nicht und Schwamm drüber" DAs ist ein Verzeihen was ich so nicht mehr möchte. Ich wünsche mir äußern zu können, was mich stört und auch verletzt. Ich kann es aber halt noch nicht....Zur Zeit ist das für mich ein faules Verzeihen meinen Mitmenschen gegenüber...Versteht ihr wie ich es meine?

Abe ich kann mir in bestimmten Situationen vergeben. Ich habe mich jahrelang schuldig für den Tod unserer Tochter gefühlt. Jetzt verstehe ich, dass ich so gehandelt habe, weil ich es nicht anders wußte und konnte. Bei meinen weiterern Kindern konnte ich mich mehr einbringen und handeln. So konnten sie leben.

DAs muß für heute erstmal reichen. Ich werde sicherlich noch mehr dazu schreiben...Ich muß meine Gedanken nur mehr sortieren...
Liebe Grüße
Sonnenschein2
Volker
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Re: Vergebung

Beitrag von Volker »

Hallo Niana,
du schreibst sehr ausführlich und offen von deinen Erfahrungen. Danke!

"Den eigenen Anteil suchen" beschreibst du als gesellschaftlichen Trend. Ich weiß nicht, ob ich dich richtig verstanden habe mit der "eigenen Schuld des misshandelten Menschen".
Ich verstehe den "eigenen Anteil" als Etwas, was im professionellen Umgang mit Menschen elementar ist, weil es mir bewußt macht, dass mein "Gegenüber", welcher "Schuld" auf sich geladen hat (ich spreche in diesen Fällen lieber von Personen, die die Verantwortung für ihre Kraft nicht annehmen wollen) einen Wert in sich trägt völlig unabhängig von den Handlungen, die er begangen hat.
Ich hatte den Eindruck mit "eigenem Anteil" beschreibst du etwas, das eine Person dazu beiträgt, dass sie Opfer von Gewalttaten wird. Im Falle von Erwachsenen, kann das sogar stimmen, denn in diesem Falle ist (bzw. sollte) die Beziehung eine zwischen Gleichen sein. Im Falle von einer Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen sieht die Sache anders aus. So wie du es mit deinen Eltern beschreibst ist das genau richtig: Sie waren die Erwachsenen. Und sie haben dich aus einem Bewußtsein behandelt, welches nicht erwachsen war. Und an dieser Stelle ist es wichtig, zu unterscheiden zwischen dem, was "richtig" ist oder gewesen wäre und dem, was deine Eltern an Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stand. Wenn sie einen andere Wahl gehabt hätten, dann wären sie sicher auch anders mit Dir umgegangen.

Du hast heute Wahlmöglichkeiten, und nutzt sie auch. So wie du das Zusammenleben mit deinen Kindern beschreibst, zeugt das von einer großen Reife. Und tatsächlich es es heute doch oft so, dass das Eingestehen eines Fehlers im Umgang mit Kindern nicht in die Selbstbilder von Erwachsenen passt. Da ziehe ich meinen Hut vor Dir!
Volker

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Gerda
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Re: Vergebung

Beitrag von Gerda »

Liebe Niana, Ihr Lieben alle,

an dieser Stelle mußte ich laut lachen:
Niana hat geschrieben:ihr "Du bist genau wie Deine Mutter!" ist alles andere als lieb gemeint. Die Große schmerzt es..... muss sie es verzeihen? Mich schmerzt es und so haben die Dinge kein Ende.... immerhin, die Große wehrt sich "ja, besser als wenn ich so wäre wie Du, gell?" sagt sie
Ich finde, das, was du da von der Familie deines EX schreibst, ist ein typisches Beispiel für unsere fehlende Konfliktkultur. Es wird immer jemand Schuldiges gesucht und dann wird gemobbt - Familien, Arbeitsstellen, Vereine, andere Gemeinschaften. Ich kenne das sowohl von meiner aktuellen Familie als auch von meiner Herkunftsfamilie. Die Fähigkeiten zu Verzeihen, zu Vergeben oder gar sich zu Versöhnen sind vollkommen unterentwickelt und unterbelichtet, kulturell gesehen.

Ich kann nicht auf so ein reines Innenleben wie du zeigen. Ich würde gerne sagen, ich habe allen vergeben und ich wäre eine andere, wenn ich das nicht erlebt hätte. Aber das ist bei mir nicht so "rein". Ich weiß, dass ich eine andere wäre, aber ich wäre sie liebend gerne, manchmal. Ich hätte vieles, was es zu vergeben gäbe, gerne einfach nicht erlebt. Und ich hätte auch gerne Kinder, die mich so außergewöhlich als Mutter sehen, wie deine, aber du kennst ja meine Geschichte. Ich bin für sie, zumindest für meinen Sohn, eine große Zumutung an Mutter.

Ich spüre Trauer an der Stelle, wo ich fühle, dass es mit der Vergebung nicht so weit her ist. Dass meine eigene Fähigkeit immer weiter entwicklungsbedürftig bleibt und dass ich auf Menschen treffe, für die Versöhnung - Versöhnung ist glaube ich so ein gegenseitiges Vergeben, Verzeihen, das zu einem Neuanfang führt - kein Wert ist, zumindest keiner, an dem ich teilhaben kann mit ihnen.

Ich merke, dass für mich zu Vergebung auch gehört, zu sehen, dass "der andere" "nur" ein Mensch ist: darüber haben wir schon mal geschrieben. Er ist nicht das Wunschbild, das ich von ihm habe, und das zu verabschieden ist total schmerzhaft. Wenn ich sehe, dass "der andere" "nur" ein Mensch ist, beginnt Liebe. Denn dann beginne ich, zu sehen, wer er/sie ist. In diesem oftmals vorsichtigen Blick auf jemand anderen - meine gewalttätigen Eltern, meinen mißhandelnden Exmann - kommt eine zarte Vergebung in mir auf. Zu zart, um sie in Beziehung zu setzen, um diese Menschen wieder sehen zu wollen, zu zart, um mich zu versöhnen. Zu zart um zu sagen, "das hast du gemacht und ich liebe dich mit alle dem, ich bin dadurch stärker geworden und gehe mit dir weiter". Ein zartes Pflänzchen von vorsichtiger Vergebung und Verzeihen in meinem Herzen, das viel Liebe zu mir selbst braucht, um gesund zu bleiben und stärker zu werden und dem der Kontakt mit diesen Menschen nicht gut tut.

Gerda
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MarliJo

Re: Vergebung

Beitrag von MarliJo »

Hallo !

Noch einige Gedanken zum Thema, die mir in den Sinn kamen.

Ritas Satz >Je mehr mich eine Person verletzt hat, desto weniger bin ich bereit, ihr zu vergeben< hat mich nicht losgelassen.
Beim ersten Lesen ging mir nur ein heftiges "Nein!" durch den Kopf.
Doch es ist wohl so, geht fast einem Jeden so, wie Rita es schreibt. Es ist eine menschliche "Schwäche", die uns nach diesem Schema empfinden und handeln lässt. Aber ich halte diese Schwäche für gefährlich, denn sie führt zu dem so vertrauten "Auge um Auge,Zahn um Zahn"- Denken. Das wiederum führt leicht zu Eskalation - der Stoff aus dem schon so mancher (Klein)Krieg
entstanden ist. Der Kreislauf des nicht mehr vergeben könnens macht den Beteiligten am Ende das Leben nur noch immer schwerer.

Nach meinem Empfinden halte ich das erkennen und das Annehmen des eigenen Anteils im Zusammenhang von vergeben schon für einen berechtigten Prozess.Wobei ich mich frage,ob "Anteil" gleichbedeutend mit "Schuld" ist. Misshandelte Kinder, Opfer von Verbrechen haben keinen Anteil an dem was ihnen zugefügt wurde, keine Frage.
Bei Erwachsenen, deren Beziehung auseinandergeht, glaube ich bis auf wenige Ausnahmen, an den Anteil beider Partner - und wenn der Anteil des einen(schwächeren) Partners auch "nur " in der Passivität bestand, seinem eigenen Willen nicht genügend Ausdruck verliehen zu haben, während der andere (stärkere) Partner aktiv seinen Willen übergestülpt hat. Oftmal s geschieht dies so glaube ich allerdings, unbewusst.

Ich möchte an dieser Stelle noch ein paar Fragen in den Raum stellen:

Können Scheidungskinder ihren Eltern ihre Trennung (aktiv) vergeben und verzeihen ? Und wenn ja, ist dies auch hilfreich/mitentscheidend für den eigenen Weg des Kindes ? Ist eine Vergeben seitens der Kinder überhaupt möglich und nötig ? Denn Kinder haben ja keinen Anteil am Scheitern der Elternpartnerschaft.

Lasse das mal einfach so stehen und bin gespannt auf eure Gedanken.

Liebe Grüße MarliJo
Volker
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Re: Vergebung

Beitrag von Volker »

Hallo Tami,

Die Daseinsberechtigung: Ich bin so wie ich bin... absolut nichts ist zu ändern... kann ich übersetzen in: "ich bin genug." Dann ist es oft ein kleiner Schritt hin zu Ich bin mir selbst "genug".
Diese Einstellung kann "helfen" wenn Menschen versuchen selbsterlittene Kränkungen an einem auszuagieren. Aus diesem Bewußtsein heraus -Selbstliebe - können liebevolle Handlungen entstehen.

Also, ich bin genug und ich bin "nur" Mensch als Leuchttürme in stürmischen Zeiten ???? :-)
Volker

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Ansa
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Re: Vergebung

Beitrag von Ansa »

Guten Abend Ihr Lieben,

so viele Gedanken zu einem spannenden Thema.

@ Lieber Volker,

ich wollte das Suchen nach dem eigenen Anteil nicht als Trend darstellen oder verstanden wissen. Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt? Ich sehe aber tendentiell ein großes Augenmerk auf diesem Punkt. Es ist wohl eine Folge des "Veränderungen kann man nur herbei führen, wenn man sein eigenes Verhalten verändert." Ich selbst lege auf meinen Anteil großen Wert und versuche das auch meinen Kindern zu vermitteln. Denn natürlich trage ich zu Konflikten auf eigene Art bei und bin nicht unbeteiligt. Auch meine Kinder können auf die Frage "was könntest DU denn tun, damit es keinen Streit gibt" durchaus reflektierte Aussagen machen, mit manchmal überraschenden Eigenreflektionen. Durch das Bewusst machen als Folge dieser Frage sehen sie die eigene Seite als handelnd und nicht mehr als inaktiv. Eigenreflektion halte ich für wichtig.

Ja, meine Eltern haben für sich keine anderen Möglichkeiten gefunden. Das weiß ich und daher trage ich ihnen die Dinge auch nicht nach. Unsere jetzigen Differenzen entstammen dem Hier und Heute, nur eines ist vielleicht anders, ich habe ihr Verhalten (nur das meines Vaters, da meine Mama nicht mehr lebt) im Hinterkopf und beziehe es mit ein. Vielleicht, das gebe ich zu, vielleicht reagiere ich manchmal auch ein wenig, hmh, nachtragend? Es ist schwer das auszudrücken. Einem anderen Menschen, der nicht diesen Hintergrund hat, begegne ich offener und unvoreingenommener. Manchmal tut mir das leid, wenn es mir bewusst wird.

Und ja, meine Erfahrungen gehören zu mir, nicht auf alles was ich je tat bin ich stolz, aber ich schäme mich ihrer nicht. Mein Wissen ändert sich und damit auch meine Möglichkeit anders zu handeln. Das ist für mich ganz wichtig, mir selbst zu verzeihen und nicht mir selbst nachtragen was ich getan habe....

@ Liebe Gerda,

ja, wenn es dann vorbei ist, dann lachen auch wir darüber, aber für die Maus ist es schwer, in der Situation. Zumal sie doch doch gern die Anerkennung vom Opa haben möchte. Da streiten zwei Wünsche in ihr, mir gegenüber loyal zu sein und dem Opa gefallen..... und ich mach es ihr noch schwerer und sage dann "Du darfst den Opa ja lieb haben, aber Du musst nicht mögen war er tut."

Oh Gerda, ich verstehe Dich so gut - manchmal wäre ich auch gern eine andere, für einen winzigen Moment, in Situationen in denen es so viel leichter schiene, wenn man mit den Schultern zucken würde und sagen könnte "ja und?" Aber leider lösen sich Probleme nicht dadurch. Und, es macht mich verlegen, wenn Du mein Innenleben rein nennst. Wenn Du wüsstest, wie rabenschwarz meine Gedanken manchmal sind und wie gern ich einfach nur mal "drauf hauen" würde, aber eben weiß, das es keine Lösung ist (bildlich gesehen, mein ich).

@ Lieber MarliJo,

neulich fragte ich meine Große, ob sie an unserer Weihnachtswichtelaktion teilnehmen wolle. Sie sagte mir "Ach Mama, ich hab überhaupt kein Problem mit der Trennung, nicht mehr - sie war gut und ich bin froh, das Du nicht mehr mit Papa zusammen bist, ich wollte darüber nicht mehr schreiben und überhaupt, ich hab soooo wenig Zeit, nein, lieber nicht."

Als damals die Trennung anlag, da hatte ich nur einen Wunsch, die Kinder möglichst unbeschadet durch diese Zeit zu bringen. Das ist mir, leider vielfach durch das Verhalten vom Papa nicht gelungen. Es waren Therapien nötig, Gesprächskreise und viel viel Arbeit. Heute haben die Mäuse die Situation akzeptiert, sie lieben meinen Liebsten zärtlich und offen und sie lieben ihren Papa. Wir stehen alle gleichberechtigt nebeneinander. Ihr Verhältnis zu Papa ist ein anderes als zu meinem Liebsten, nicht so innig und ehrlich, aber möchte ich meinen, aber das liegt in seiner Person und in seinem Verhalten. Sie haben Kontakt zu Papa soviel sie mögen und wann sie mögen.

Wenn sie gefragt werden, dann sagen alle drei, "wir haben ja viel mehr als vorher, einen Papa und einen allerbesten Freund, eine "neue" Familie und wir sind glücklich...."

Nein, das war nicht das was ich einmal als Lebensziel hatte, aber ich habe ihnen vorgelebt, das man Dinge verändern kann und muss, wenn sie nicht mehr stimmig sind und das es eine Chance gibt, auf neue Bedingungen und das es an uns liegt, was wir daraus machen. Ich denke wohl, das sie uns die Scheidung aktiv verziehen haben. Was nicht bedeutet, das sie nicht manchmal den Wunsch haben, es wäre nie geschehen - ehrlich, das kann ich nachvollziehen - das geht mir genauso. Ich wäre einfach gern mit dem Papa zusammen geblieben, das war einmal mein Ziel. Das ich heute glücklicher bin als vorgestellt, das habe ich in meine Überlegungen nicht einbeziehen können und ich würde es, vielleicht, auch nicht unbedingt vermissen?

Ist das wichtig für den Entwicklungsprozess? Ja, das glaube ich. Meine Kinder wissen ganz genau, das dies eine Sache und eine Entscheidung auf der Paarebene war und das sie die Dinge im Grunde nichts angehen. Ich habe mich sehr bemüht die Ebenen zu trennen und sie immer bestärkt für sich zu handeln. Sie wissen auch, das ich es ihnen übel nehme, wie sie manchmal mit dem Papa heute umgehen. Aber damit können sie umgehen und ich am Ende auch.

Ich glaube, ganz fest, je sicherer wir Großen in dem sind, was wir vorleben, sagen und umsetzen, desto leichter nehmen Kinder die Dinge als Normalität an und desto sicherer fühlen sie sich selbst. Weißt was ich mein?

@ Alle,

tragend für unsere Familie ist Gleichwertigkeit. Dies ist ein Begriff aus der Individualpsychologie und ein zentraler Punkt in der Erziehung nach Dreikurs. Das bedeutet zum Beispiel, das alle Familienregeln von allen eingehalten werden und das es Konsequnezen für alle geben muss.

Heute nun habe ich was verpasst. Ich hab vergessen, meinen Kindern zu sagen, das ich viel später heim komm als sonst. Meine Große rief an und fragte, ob sie ohne mich essen könnten und ich meinte, ja, das sei kein Problem. Ich glaubte daher, die Kinder würden gemeinsam essen und ich könne mir Zeit lassen. Eine Stunde nachdem ich daheim sein sollte, rief mich meine Tochter an und sagte "Mama! WO bist Du, wir machen uns solche Sorgen um Dich und wir sind so hungrig, weil wir doch mit Dir essen wollten......" Und ich hab mich geschämt.... ich hab nämlich gegen unsere Verabredung gehandelt und nicht Bescheid gegeben. Ich sagte also, ich käme etwa in einer halben Stunde und sie sollten schon mal essen, aber "wir warten auch Dich, die halbe Stunde macht nun auch nichts mehr." Sie klang sauer.... als ich heimkam habe ich mich bei jedem meiner Kinder entschuldigt, und ihnen gesagt, sie hätten Recht, das sei falsch von mir gewesen. Mein Mittelchen sagte dann "Na ja, das hat dann Konsequenzen, mal sehen, was Du tun musst, damit es wieder gut ist." *ups* "Na ja, wenn Du das meinst, können wir das tun, aber dann denke daran, das es bei Dir dann auch so sein wird, wenn Du etwas falsch gemacht hast" Und das Thema war vom Tisch.

Kinder, so glaube ich, können nur lernen durch Vorleben und da darf es keine Unterschiede geben. Wäre meine Tochter zu spät gekommen, hätte sie beim nächsten Mal nicht ausgehen dürfen. Das dies bei mir nicht geht, das ist den Kindern klar - was aber nicht bedeutet, das wir es nicht so handhaben werden. An irgendeiner Stelle werde ich deutlich erkennbar daheim bleiben. Durch dies Prinzip erleben die Kinder die logischen Folgen nicht als Bestrafung, sondern als Konsequenz, die für alle gilt. Ich kann also nicht Ordnung verlagen, wenn ich selbst sie nicht lebe. Vor allem, mit welchem Recht? Da spüren Kinder sofort die Ungleichheit und die Unausgewogenheit und vor allem aber die Willkür und gegen die wehren sie sich.

Manchmal aber denke ich, ich mache es den Kindern durch solche Dinge schwerer, denn sie ecken natürlich in althergebrachten Familien an. Sie stellen Dinge in Frage und haben eine eigene Meinung. Der "arme" Opa muss immer herhalten, ich gehe davon aus, das er "wissentlich" auch immer mal wieder gereizt wird. Und in ihrem jugendlichen Überschwang sagen sie dann schon mal "Also, Du hast doch wohl nen Rad ab..... wir leben doch nicht im Mittelalter....." das birgt Konfliktpotential. Grad mit der tiefgläubigen Nachbarin, die das sagt, die Frau sei dem Mann untertan. Hach was kann sich meine Große da aufregen.... da sprühen Funken. Gleichwertigkeit gegenüber Anderen müssen sie noch lernen. :D

Nachdenkliche Grüße
Niana
Sei zärtlich mit den Kindern, mitfühlend mit den Alten, nimm Anteil an denen, die sich anstrengen, sei sanftmütig mit den Schwachen und geduldig mit den Starken; denn eines Tages wirst Du dies alles gewesen sein. (nach C.W. Carver)
Tamara22
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Re: Vergebung

Beitrag von Tamara22 »

Hi Volker,

ich bin genug, wissend, dass Liebe, die von aussen kommt dazukommen darf. Ja, sozusagen als Leuchtmittel im Sturm.
"Du bist schon vollkommen, du mußt es nicht erst noch werden..."

Vollkommen schließt mit ein, dass wir beides haben, das Licht und den Schatten.
Dass wir beides sein können und dürfen.

Wenn du das Licht in deine Arme schließt, was passiert dann wohl mit dem Schatten?

Tami
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Tamara22
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Re: Vergebung

Beitrag von Tamara22 »

An alle,

was wäre wenn Vergeben nichts endgültiges ist,sondern eine Momentaufnahme. Wenn es nur darum geht, dass dieses Gefühl das dadurch entsteht zu uns dringen darf,löst und heilt. Wenn diese Nähe kurz aufflackert,vielleicht ist sie so gewichtig, dass die Erinnerung für den "Rest" reicht....

Wie ich darauf komme? Die Frage danach ob Scheidungskinder ihren Eltern das vergeben können hat so etwas angestoßen, eine Erinnerung.
Ich kenne Momente, in denen ich zu meiner Vergangenheit, die auch durch die Trennung bestimmt war und ist, aus vollen Herzen JA sagen konnte und ich weiß und erinnere mich, dass es Momente gibt und geben wird, in denen ich innerlich laut NEIN schreie. Ich habe so oft gedacht ich wäre keinen Schritt weiter, aber das stimmt nicht. Die Erinnerung ist es letzlich die mein Leben ausmachen wird, also zählt jeder Moment.

Ich habe vergeben....in vielen kleinen Momenten.
Tami
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Volker
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Re: Vergebung

Beitrag von Volker »

Hallo Niana,

Gleichwertigkeit zwischen KIndern und Erwachsenen ist ein heikles Thema... irgendwie sind Kinder und Erwachsene in ihrer Persönlichkeit sicher ranggleich, zumindest wäre es wünschenswert. In der Realität ist es aber auch so, dass Erwachsene deutlich mehr Erfahrung haben als Kinder und insofern die Folgen ihres Handelns besser überschauen können. Dieser Erfahrungsvorsprung bedeutet auch, dass es hier eine Hierarchie gibt, die in bestimmten Situationen auch wichtig ist.
Dreikurs zeigt sehr schön, wie Kinder die Erfahrung, die Erwachsene ihnen voraus haben (sollten *g*) dann erfahren können: Indem ich sie ernst nehme und sie die Konsequenzen ihres Handelns bewußt erleben ("erfahren"). Ein Kind als gleichwertigen Partner ernst nehmen bedeutet dann genau dies: Ich mute ihm auch alles zu, was mit seinen Entscheidungen verbunden ist, lasse es nicht alleine, stehe als Refelxionspartner zur Verfügung.

Deine Kinder könnten an deinem Beispiel lernen für sich und ihren Sprachgebrauch Verantwortung zu übernehmen:
Die erste Frage war ja, ob sie auch ohne Dich essen könnten und diese Frage hast du klar beantwortet. Wenn sie dich gefragt hätten um wieviel Uhr ihr gemeinsam essen wollt, dann wäre die Verabredung klar gewesen. Ich sehe hier überhaupt keinen Anlaß, für den du dich dich bei deinen Kinder entschuldigen müsstest....
Volker

Es ist unglaublich, wieviel Kraft die Seele dem Körper zu leihen vermag. (W. v. Humboldt)
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