Das Mädchen mit dem Kissen - Geschichte - Achtung lang!

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KleenerEngel
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Das Mädchen mit dem Kissen - Geschichte - Achtung lang!

Beitrag von KleenerEngel »

„Warum werd ich immer verletzt?“, fragt sie sich, als sie weinend auf ihrem Bett sitzt. Das Kissen eng an sich gedrückt, nass von den Tränen. Schwarze Linien auf ihrem Gesicht, von ihren Augen reichen sie runter bis zu dem Kinn, wo ihre Spur endet. Ihre Augen sind rot, der Blick leer, die vollen Lippen zerbissen. Seit Wochen fragt sie sich diese Fragen… „Warum ich?“, schluchzt es erneut und wieder bahnt sich eine Träne den Weg über ihr Gesicht. Täglich sieht man das Mädchen so, auf ihrem Bett, mit ihrem Kissen, allein.
Es scheint, als wäre sie von Tag zu Tag trauriger. Sie wird immer antriebsloser, keiner schafft es, sie ernsthaft zum Lachen zu bringen. Jede Minute verbringt sie Zuhause, in ihren Gedanken verloren. Nur am Morgen steht sie auf und geht ins Bad. Gedankenverloren schlendert sie in die Schule und sobald sie ihre Klassenkameraden sieht, zwingt sie sich zu lächeln. Es heißt immer, die Starken sind die, die unter Tränen lachen… Die ihre Sorgen verbergen und andere zum lachen bringen… Das passt zu dem Mädchen… In der Schule gilt sie als Frohnatur, man sieht sie immer lachend. Nur merkt keiner, dass das Mädchen das Lachen verlernt hat. Es ist nur gespielt, vor dem Spiegel wurde es perfektioniert. Und es klappt. „Wenn ich niemanden emotional an mich heranlassen, kann ich auch nicht mehr verletzt und enttäuscht werden.“, sagt sie sich… Sie unterdrückt ihre Gefühle und Emotionen, niemand weiß wie sie sich wirklich fühlt, außer vielleicht eine Person. Jene Person, welche für ihren Schmerz verantwortlich ist. Er, den sie hat gehen lassen, kampflos. Er, den sie so liebt, und den sie deshalb ziehen ließ. Den Mann, den sie wohl nie hätte glücklich machen können. Nein! Der nicht zuließ, dass sie ihn glücklich machen durfte! Sein Herz ist vergeben, und das Mädchen lass ihn ziehen… In der Gewissheit, es wird ihn zerstören, auffressen, innerlich zerreißen… Sie musste ihn loslassen, konnte ihn nicht aufhalten. Nun plagen sie die Vorwürfe… „Hätte ich ihr sagen sollen, was geschah? Ich würde so gerne, ihn beschützen… Aber, dann verliere ich ihn, hab ich nichts mehr. Ich muss schweigen, mir bleibt nichts anderes übrig“. Sie fragt sich immer wieder, ob sie ihn hätte aufhalten können. „Warum konnte er sich nicht in mich verlieben? Was habe ich denn falsch gemacht?“, Fragen die sie quälen, jeden Tag. Nun ist er fort, so weit entfernt von dem Mädchen… Wieder dort, wo er sein Herz gelassen hat. Er verließ den Ort, in dem das Mädchen und er so glücklich waren und ließ sie zurück. Sein Herz trieb ihn während der Heimkehr dorthin, wo er am Liebsten ist… Zu ihr… Das Mädchen währenddessen liegt im Bett, bekommt kein Auge zu, kann nicht schlafen, weint… Trauert, um ihre Liebe. Ist wütend, sich ihm so geöffnet zu haben. „Ich hätte es doch wissen müssen, dass das passiert… Ich wurde bisher immer schlecht behandelt, warum also hätte es diesmal anders sein sollen?“ Am nächsten Abend vibriert ihr Handy. Ihr Herz rast, so wie immer, wenn er ihr schrieb. Jedes Wort liest sie sich sorgfältig durch, liest zwei Mal, 3 Mal… „Bin nun Zuhause angekommen. Hatte noch einen Zwischenstopp bei ihr eingelegt….“ Weiter las sie nicht. Die anfängliche Euphorie löste sich in Rauch auf. Sie sinkt zu Boden und wieder schießen ihr Tränen in die Augen. Kraftlos sitzt sie da, aufgelöst, emotional am Ende und weint. „Wann hört das endlich auf?“, flüstert sie leise… „So oft wie ich weine… Ich kann doch gar keine Tränen mehr haben!“. Bewundernswert, zu was der Mensch in der Lage ist. Das Mädchen möchte so gerne wieder glücklich sein, ehrlich lachen, aus vollem Herzen… Sie möchte wieder der Mensch sein, der sie vorher war… Fröhlich, lustig, aufgeschlossen, lebensfroh. Jetzt ist das Gegenteil eingetreten. Sie ist verschlossen, deprimiert, traurig, distanziert. Alles wegen ihm, nur wegen ihm. Nur, weil sie sich öffnete und sich so verliebte. Jetzt schwor sie sich, niemanden an sich heran zu lassen. Keinem zu Vertrauen, sich nicht mehr zu öffnen. „Nur so kann ich mich schützen“, denkt sie. „Oder ich muss es akzeptieren. Damit leben, dass ich nur eine Person für Zwischendurch bin, dass man mich nicht lieben kann“. Wofür sie sich entscheiden wird weiß niemand, auch sie selber nicht. Sie greift wieder nach ihrem Handy, liest die Nachricht zu Ende und wirft es dann in die Ecke. Nimmt sich sein Bild, hält es an ihr Herz. „Spürst du das? Es schlägt für dich!“, flüstert sie ihm zu. Draußen fängt es an zu regnen. Ob der Himmel wusste, dass das Mädchen schon zum Weinen zu schwach ist und ihr helfen wollte? Seit Tagen hat sie kaum gegessen, viel zu wenig getrunken. Dünn geworden ist sie, das Mädchen, das er immer so attraktiv fand. Die so wunderschön aussah in seinen Augen. Das Mädchen, dass sich in den Augen des Jungen verlor, jede Berührung genoss, jeden Atemzug von ihm hören wollte. Das sich an ihn kuschelte, damit sie seine Wärme spürt, ihm die Haare aus dem Gesicht strich, damit sie ihn sehen konnte… Das Mädchen, dass kaum ihre Blicke woanders hinschweifen lassen konnte, dass ihn am Liebsten Tag und Nacht betrachten wollte. Ja, sie ist es nun, die dünn und kraftlos auf dem Boden sitzt. Ihre Augen haben ihren Glanz verloren, wirken matt, das Leuchten ist verschwunden. Er nahm es ihnen. Nach einer Weile hat sie etwas Kraft gesammelt und setzt sich in ihren Sessel. Ihr Blick trifft die Klinge auf dem Regal, welche sie einmal für den Biologieunterricht benötigt hat. Sie erinnert sich, dass sie sie schon einmal erlöst hat, dass sie sich danach besser fühlte… So, lebendig. Nach einigen zweifelnden Minuten greift sie zu, setzt an, kann aber nicht fest zudrücken… Nur leicht streift die Klinge ihren Arm, dennoch fließt Blut. Die Wunde ist klein und nicht tief, nicht gefährlich… Aber es tut so gut, das Blut zu sehen… Das rote Lebenselixier… „Ich lebe“, stellt sie für sich fest. Manchmal fühlt sie sich wie in einer anderen Welt… Sie wünscht sich oft, dass sie nur träumt und dass sie bald wach werden würde, in den Armen des Mannes, den sie so liebt. Dass er sie verträumt anguckt, ihr über das Gesicht streichelt und sagt „Pssst Schatz… Alles ist gut, du hast nur geträumt. Ich bin ja bei dir“ und sie dann zärtlich küsst. Aber es ist kein Traum. Alles, was hier passiert, ist Realität. Sie legt sie Klinge weg, stellt sie wieder ins Regal. Sie kann sie jederzeit sehen. Dass es gefährlich ist, weiß sie. Aber es scheint der letzte Ausweg zu sein. Die letzte Möglichkeit, sich echt zu fühlen, real, lebendig.
Das Mädchen möchte vergessen, loslassen können. Sie dachte, wenn er weg ist, würde es ihr leichter fallen. Aber das Gegenteil geschieht. Dass er so nah bei der Anderen ist tut ihr so weh. Er schreibt, er liebe sie, doch sie weiß seine Liebe nicht zu schätzen. Sie weist ihn zurück, schon so lange. Er hätte glücklich sein können, es lag vor seiner Nase. Er hätte nur zugreifen müssen.
Am Abend geht das Mädchen ins Bett. Ihr Gesicht ist gekennzeichnet von den letzten Tagen. Die Augen sind aufgequollen und rot, die Lippen zerbissen und rissig, ihre Haut trocken.
Sie schließt die Augen und eine letzte Träne rollt. „Morgen geht der Horror weiter“, denkt sie und fällt in einen tiefen Schlaf. Träumt von gemeinsamen Zeiten, von der Liebe die sie für ihn empfindet… Und man kann ein kleines Lächeln auf ihren Lippen wahrnehmen. Das ist echt, denn sie träumt… Nur in ihren Träumen kann sie noch glücklich sein. Im wahren Leben wird man sie nicht mehr lachen sehen… Das Mädchen im Bett, mit ihrem Kissen, allein…


© Karo, 9. September 2009
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ein Augenblick der
Ungeduld ein ganzes Leben zerstören.

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Anneliese
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Re: Das Mädchen mit dem Kissen - Geschichte - Achtung lang!

Beitrag von Anneliese »

echt bewegenede Geschichte...
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Gerda
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Re: Das Mädchen mit dem Kissen - Geschichte - Achtung lang!

Beitrag von Gerda »

LIebe Karo,

danke für die eindrucksvolle Geschichte. Es ist total schwer für das Mädchen. Das hast du sehr eindrucksvoll beschrieben. Wie schlimm, wie fatal sie sich gebunden hat! Und auch, dass sie sich selbst straft, indem sie sich schwört, niemals jemanden an sich heran zu lassen und wieder zu vertrauen, ist schlimm. Das ist sogar selbstzerstörerisch. Genau, wie das Schneiden mit der Rasierklinge. Vielleicht hat sie lange vor der unerfüllten Liebe zu dem jungen Mann einen ganz schlimmen Vertrauensbruch erlebt, der jetzt wieder aufgewühlt wurde? Ich glaube, da müßte sie sich mal mit auseinander setzen..........

Liebe Grüße
von
Gerda
"Unser wahres Zuhause ist der gegenwärtige Augenblick. Wenn wir wirklich im gegenwärtigen Augenblick leben, verschwinden unsere Sorgen und Nöte, und wir entdecken das Leben mit all seinen Wundern.“

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KleenerEngel
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Re: Das Mädchen mit dem Kissen - Geschichte - Achtung lang!

Beitrag von KleenerEngel »

Die Rasierklinge kam erstmals zum Einsatz, als der ganze Streit mit meiner Mum losging...
Sprich vor 5 Jahren...
mitlerweile hab ich sie nicht mehr, ein Freund sah sie und hat sie "zufällig" kaputt gemacht... :rolleyes:
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